Grüne Magie
Ich hoffe, daß ich mit ebensolcher Weisheit handle, wenn ich das Gewicht der Jahre zu spüren beginne. Gute Nacht, Hein Huss! Ich muß mich um meine Dämonenmasken kümmern. Morgen soll Keyril ein wahrer Riese sein.«
»Gute Nacht, Isak Comandore!«
Comandore schlüpfte aus dem Zelt, und Huss machte es sich auf seinem Stuhl bequem. Kurz darauf kratzte Sam Salazar an der Zugangsplane. »Was ist denn, Junge?« knurrte Huss. »Warum zauderst du?«
Sam Salazar kam herein und legte das Hein Huss-Simulacrum auf den Tisch. »Ich möchte die Puppe nicht behalten.«
»Dann wirf sie doch weg!« erwiderte Huss barsch. »Hör auf damit, mich mit dummen Tricks zu ärgern. Du versuchst dauernd, meine Aufmerksamkeit zu erwecken, aber du sollst eins wissen: Ohne die ausdrückliche Einwilligung Comandores kannst du seine Truppe nicht verlassen, um dich mir anzuschließen.«
»Und wenn ich ihn um Erlaubnis bitte?«
»Damit würdest du dir seine Feindschaft zuziehen.
Bestimmt öffnet er dann seine Kommode und unternimmt etwas gegen dich. Im Gegensatz zu mir bist du nicht vor derartigen Hexereien geschützt. Ich rate dir, dich mit der gegenwärtigen Situation zufriedenzugeben. Isak Comandore ist ausgesprochen fähig und kann dich viel lehren.«
Sam Salazar zögerte noch immer. »Unglücksbringer Comandore mag durchaus fähig sein, aber er ist neuen Ideen gegenüber nicht sonderlich aufgeschlossen.«
Schwerfällig verlagerte Hein Huss sein Gewicht, wodurch der Stuhl unter ihm ächzte, und aus seinen kristallklaren Augen musterte er den jungen Novizen. »Und was sind das für neue Ideen? Stammen Sie von dir?«
»Es handelt sich tatsächlich um Überlegungen, die mir durch den Kopf gingen, doch im Denken Isak Comandores gibt es offenbar keinen Platz für sie. Ich habe ihm entsprechende Vorschläge unterbreitet: Er lehnte sie zwar nicht ab, nahm sie aber auch nicht an.«
Hein Huss seufzte und suchte nach einer bequemeren Haltung. »Also heraus damit! Beschreib mir deine Ideen, damit ich ihre Neuartigkeit beurteilen kann.«
»Zuerst einmal habe ich mir über Bäume Gedanken gemacht. Sie reagieren recht empfindlich auf Licht, Feuchtigkeit, Wind und Druck. Empfindsamkeit bedeutet Gefühl. Könnte sich ein Mensch in die Seele eines Baumes hineintasten, um dort nach solchen Gefühlen Ausschau zu halten? Wenn Bäume dazu fähig sind, ein Bewußtsein zu entwickeln, so könnte sich ein derartiger Versuch als nützlich erweisen. Daraus ergäbe sich die Möglichkeit, Bäume als Wächter an strategischen Stellen einzusetzen oder sie als Mitteilungsbrücken zu verwenden.«
Hein Huss war skeptisch. »Ein recht interessantes Konzept, das sich praktisch jedoch nicht verwirklichen läßt. Für das Lesen fremder Gedanken, die Kontrolle anderer Seelen, telepathische Beobachtung und ähnliche Dinge gibt es einegrundlegende Bedingung: psychische Übereinstimmung. Die betreffenden Bewußtseine müssen dazu in der Lage sein, zumindest auf einer gewissen Ebene zu einer gemeinsamen Identität zu verschmelzen. Ist das nicht der Fall, gibt es keine Verbindung. Du wirst mir sicher zugestehen, Sam Salazar, daß sich Bäume sehr von Menschen unterscheiden; die äußeren Formen lassen sich nicht zur Deckung bringen. Wenn sich demzufolge mehr ergibt als nur der Hauch eines mentalen Verstehens, so hätten wir es mit einem Wunder unserer Kunst zu tun.«
Der Novize nickte bekümmert. »Das war mir schon vor einer ganzen Weile klar, und daher hoffte ich darauf, die notwendige Identifikation herbeiführen zu können.«
»Dazu müßtest du zu einer Pflanze werden, denn einst steht fest: Ein Baum wird sich niemals in einen Menschen verwandeln.«
»Das dachte ich mir ebenfalls«, bestätigte Sam Salazar. »Aus diesem Grund ging ich allein in den Wald und wählte eine große Kiefer. Ich bedeckte meine Füße mit Humusboden und stand still und nackt – im Sonnenschein, im Regen. Morgens, mittags, abends, auch während der Nacht. Ich verdrängte alle menschlichen Gedanken aus meinem Bewußtsein, schloß die Augen, so daß ich nichts weiter sah als Dunkelheit, hielt mir die Ohren zu. Ich nahm keine Nahrung zu mir, sieht man einmal von Licht und Regen ab. Ich gab mir alle Mühe, von den Füßen und dem Torso aus Wurzeln wachsen zu lassen. Dreißig Stunden stand ich so, und zwei Tage später noch einmal dreißig, und dann wieder. Ich wurde so sehr zu einem Baum, wie es einem Wesen aus Fleisch und Blut möglich ist.«
Hein Huss gab ein gedämpftes Brummen von sich,
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