Gruenkohl und Curry
Bangladesch kennengelernt, ein Ehepaar mit einem Sohn, etwas jünger als ich. Diese Menschen waren neu in Deutschland und fühlten sich einsam und fremd. Die Frau hatte in meiner Mutter jemanden aus Südasien erkannt und einfach angesprochen. Sie gab ihr ihre Telefonnummer und lud sie zum Tee ein.
Über diese Familie machten wir Bekanntschaft mit Indern, die in Stade lebten. Manche von ihnen trugen ausschließlich Sari und Shalwar Kameez und fielen in der Stader Innenstadt damit auf. Andere hatten sich einen deutschen Lebensstil angewöhnt, es gab darunter auch Hindus, die Fleisch – sogar Rind- und Schweinefleisch – aßen. Mit vielen von ihnen freundeten sich meine Eltern an – und sprachen schon bald über ihren gemeinsamen Bekannten. »Gott sei Dank ist dieser Beamte jetzt weg!«, sagte einer der Inder. Bei vielen keimte nun, wie bei meinen Eltern, die Hoffnung, dass es vielleicht doch noch mit einer längerfristigen Aufenthaltsgenehmigung klappen könnte. Für die Familie aus Bangladesch kam diese Nachricht jedoch zu spät. Sie war, entnervt vom ewigen Streit mit den Behörden, wieder nach Dhaka gezogen.
Manche der Inder hatten ihre Kinder in Großbritannien zur Welt gebracht, die nach dortigem Recht von Geburt an britische Staatsbürger waren. Damit durften auch die Eltern in Großbritannien bleiben und erhielten nach einer gewissen Frist den britischen Pass. Später waren sie aus beruflichen Gründen nach Deutschland umgezogen und erhielten als britische Staatsbürger, im Gegensatz zu uns Pakistanern, ein Bleiberecht.
Warum habe ich nicht gleich von Geburt an die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten? Es hätte mir das Gefühl erspart, von offizieller Seite in diesem Land unerwünscht zu sein, hätte mich in einem anderen Bewusstsein aufwachsen lassen.
Für meine Mutter waren die Treffen mit den Indern die ersten Begegnungen mit Hindus.
»Als Kind hörte ich die Erwachsenen darüber reden, dass Hindus schmutzig sind und Muslime hassen. Sie sprachen auch über die Kriege, die Pakistan gegen Indien geführt hat. Indien war unser Erzfeind. Jetzt saß ich plötzlich in Stade mit Indern, mit Hindus an einem Tisch. Komisch, oder? Als ich noch in Pakistan lebte, hätte ich mir das nie vorstellen können. Erst jetzt wurde mir klar, dass wir jahrelang mit Vorurteilen gelebt hatten und dass diese Menschen sich, abgesehen von der Religion, nur wenig von uns unterscheiden.«
Bei Besuchen von Verwandten in Pakistan und Indien habe ich die kuriose Erfahrung gemacht, dass die Vorurteile immer noch tief sitzen. Meine pakistanische Familie spricht oft abfällig über Indien, über »Hindus mit ihren merkwürdigen Göttern und Bräuchen« und über die »feindselige Haltung indischer Politiker gegenüber Pakistan«. Wenn ich ihnen sage, dass doch viele Millionen Muslime in Indien leben, antworten sie voller Überzeugung, dass das nur diejenigen seien, die es sich nicht leisten konnten, nach Pakistan auszuwandern. »Nur der Schrott ist in Indien geblieben«, sagte mal ein Bekannter meiner Familie in Pakistan. Umgekehrt finden meine indischen Verwandten, obwohl sie Muslime sind, für Pakistan nur kritische Worte. Sie halten das Land für einen »Terrorstaat« und eine »schlimme Militärdiktatur« und sprechen mit Blick auf die Teilung 1947 von einem »großen Fehler«. Bei Cricketspielen zwischen Pakistan und Indien feuert meine Familie, natürlich, jeweils das Land an, in dem sie lebt.
Die Besuche bei den indischen und bengalischen Freunden in Stade wurden zu einem Stück Südasien mitten in Deutschland. Meine Eltern hatten diese Kontakte nicht gesucht, sie ergaben sich mit der Zeit einfach. Mir machten diese Treffen viel Spaß. Diese Familien hatten Kinder in unserem Alter, gemeinsam spielten wir Verstecken oder probierten neue Spielsachen aus. Abends, nach einem traditionellen südasiatischen Essen mit mindestens drei verschiedenen Currys – ganz ohne Knochen! –, gegrillten Kebabs, Bergen an Reis und
Chapatis
, dünnen Fladenbroten, wurde ein großer, klobiger Fernseher eingeschaltet, ein Bollywood-Film in den Videorekorder gelegt und stundenlang wie gebannt auf den Bildschirm gestarrt. Das waren die Momente, in denen mir langweilig wurde, weil diese Filme einfach nie enden wollten und zwischendurch die Schauspieler an den unsinnigsten Stellen plötzlich zu singen und zu tanzen anfingen. Meine Eltern freilich liebten damals diese Filme, die auch ein Stück Heimat bedeuteten. Selten waren wir vor Mitternacht zu
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