Gruenkohl und Curry
durch Hollern-Twielenfleth. Die Kirschen sind reif, Obstbauern fahren mit ihren Traktoren durch das Dorf. Jeder nickt mir freundlich zu. Alle paar Häuser treffe ich alte Bekannte.
Ich besuche Gisela Laurich, die Frau, die vor Jahren Unterschriften für uns gesammelt und Petitionen geschrieben hat. Wir sprechen über alte Zeiten.
»Mensch, was haben wir durchgemacht«, sagt sie.
Sie sagt »wir«.
Ich gehe an unserem alten Haus vorbei. Es sieht noch genauso aus wie vor dreißig Jahren: dunkelrote Ziegelsteine, schwarzes Dach, der Weg zur Eingangstür aus Waschbetonplatten. Der riesige Garten mit den Kirschbäumen ist etwas kleiner geworden: Dort stehen jetzt neue Einfamilienhäuser. Die Bevölkerung von Hollern-Twielenfleth wächst offensichtlich.
Ich freue mich, dass Otti nach wie vor in diesem Haus lebt. Durch sie habe ich das Gefühl, dass da noch etwas von uns ist in diesem Haus.
»Komm rein, mein Junge«, sagt sie, wenn ich sie besuche. Dann serviert sie den Zitronenkuchen, den ich immer bei ihr bekomme. Ein Stück Kindheit.
Ich bin glücklich, dass meine Eltern uns hier haben aufwachsen lassen, mitten in der Natur, nahe am Wasser. Sie selbst leben inzwischen in Stade, wo sie sich kurz nach der Einbürgerung ein Haus gekauft haben. Wenn ich sie besuche, fahre ich gern nach Hollern-Twielenfleth. Ich streife durch das Dorf, spaziere die Vorderstraße entlang, unterhalte mich mit den Menschen, die hier leben. Dann verstehe ich, weshalb meine Eltern nicht mehr weg wollen aus diesem Teil Deutschlands.
Indische Identität, pakistanisches Zuhause, integriert in Deutschland – manchmal zerren viele Kräfte an mir. Und egal, wo ich bin, immer vermisse ich etwas. Meine Eltern sind an ihrem Ziel angekommen. Aber wohin gehöre ich?
Nach Deutschland, sicher.
Aber mir kommen wieder Zweifel, wenn ein Fremder zu mir sagt: »Sie sprechen aber gut Deutsch!« Oder wenn mir jemand versichert, wie toll es doch sei, dass ich als Einwandererkind es so weit gebracht habe in meinem Leben. Und mich spüren lässt, eigentlich müsste ich dankbar dafür sein, Pakistan und Indien entkommen zu sein. Als wäre das die Hölle.
Dann habe ich das Gefühl: Ich kann mich noch so sehr anstrengen, mich anpassen, die Sprache beherrschen, gute Leistungen bringen – so ganz gehöre ich nicht hierher, sobald ich mich aus dem Kreis meiner Freunde und Bekannten und Kollegen hinausbewege. Obwohl ich in Deutschland geboren und aufgewachsen bin, gehe ich immer noch eher in Indien als Inder, in Pakistan als Pakistaner und wahrscheinlich in Amerika als Amerikaner durch als in Deutschland als Deutscher.
Und doch mag ich dieses Land. Es war ein Zufall, der meine Eltern hierher geführt hat: eine Anzeige einer deutschen Reederei in einer pakistanischen Tageszeitung. Hier zu bleiben, hier zu leben, war dagegen ihre bewusste Entscheidung. Auch das ist mein Erbe.
Vielleicht hat der Taxifahrer aus Neu-Delhi recht: Der Pass ist völlig egal. Zuhause ist, wo das Herz gerade ist. Mein Herz schlägt in zwei Welten, in drei Heimaten.
Danksagung
Was wäre dieses Buch ohne Kai Gathemann? Er war Geburtshelfer, Mutmacher und erster Leser in einem – viel mehr, als ein Literaturagent sein muss. Ihm gebührt ein großes Dankeschön. Ebenso meiner Lektorin Katharina Festner von dtv, die den Text behutsam geschliffen hat und deren Anmerkungen eine Freude waren. Danke all den Menschen, die meiner Familie in all den schwierigen Jahren zur Seite gestanden, ihnen den Rücken gestärkt und sie dazu gebracht haben, nicht aufzugeben. Manche von ihnen sind in diesem Buch erwähnt – aber auch die nicht Genannten, wie zum Beispiel die vielen Bewohner von Hollern-Twielenfleth, sind nicht vergessen; sie alle aufzuzählen würde mehrere Seiten einnehmen. Danke meiner Schwester für ihre wertvollen Hinweise, ihre Sicht der Dinge und dafür, dass sie damals ganz unfreiwillig dazu beigetragen hat, dass wir bleiben durften. Meine Eltern sind die Helden dieses Buches: Für das, was sie geleistet (und ertragen) haben, danke! Und schließlich gilt mein Dank meiner Frau, die mir die Kraft gegeben hat, dieses Buch zu schreiben.
Informationen zum Buch
Auf dem Dachboden seiner Eltern findet Hasnain Kazim, Sohn indisch-pakistanischer Einwanderer, eine Kiste mit Papieren, die ein Tor zu seiner Vergangenheit öffnen: Dokumente, die belegen, dass seine Familie in den achtziger Jahren mehrmals kurz davorstand, aus Deutschland ausgewiesen zu werden. Kazim geht dieser Familiengeschichte
Weitere Kostenlose Bücher