Gruenkohl und Curry
stammte? Hier hatte ich mal als Kind gelebt und mich nach einiger Eingewöhnung wohlgefühlt? Ich konnte es mir nicht vorstellen.
Meine Schwester und ich ernährten uns in den verbleibenden zwei Wochen ausschließlich von Pommes frites, die meine Mutter eigenhändig aus frischen Kartoffeln zubereitete. Alles andere, insbesondere Fleisch, rührten wir von nun an während unseres Urlaubs nicht mehr an, da konnten unsere Verwandten noch so oft
»Khana khao!«
sagen.
Ab dem Moment, in dem wir uns mit unserem eintönigen Essenswunsch durchgesetzt hatten, gefiel es uns in Karatschi. Mittlerweile hatte ich mich so weit an die neue Umgebung gewöhnt, dass ich meine Cousins und Cousinen richtig wahrnahm. Ich fand endlich Zugang zu ihnen – und für sie war ich der zwar etwas eigenartige, aber doch bewunderte Cousin aus Deutschland, dessen Erzählungen sie gebannt zuhörten. Eigenartig deshalb, weil ich merkwürdig Urdu sprach, mit meinen Eltern in einer fremdem Sprache redete, sonderbare Essgewohnheiten an den Tag legte und überhaupt so anders war als alle anderen pakistanischen Kinder in meinem Alter. Von all den Cricketstars, die sie toll fanden, hatte ich noch nie gehört.
Auch meine Eltern wurden von den Verwandten über Deutschland befragt. Gefällt es euch wirklich so gut in Deutschland? Dürft ihr denn ohne Probleme bleiben? Wollt ihr für immer dort leben? Ja. Nein. Auf jeden Fall.
Am Ende war ich sogar richtig begeistert von Karatschi: die Affen in den Straßen! Die knatternden Rikschas! Der verrückte Verkehr mit diesem sinnlosen Gehupe! Die schönen, lauten Märkte mit all den bunten Waren, Tüchern, Kleidern, Obst- und Gemüsesorten! Ich hatte vor der Reise meine erste Kamera geschenkt bekommen und machte nun Fotos von meinen Verwandten, ihren Häusern und von Eselskarren, die auf den Straßen fuhren. Als wir nach drei Wochen gehen mussten, fiel uns der Abschied schwer.
Während des Rückflugs waren meine Eltern etwas angespannt, sie fragten sich, ob bei der Einreise wirklich alles problemlos verlaufen würde. Doch in Frankfurt winkte man uns ohne Weiteres durch die Passkontrolle. Nicht einmal der Zoll wollte etwas von uns.
Pastor Lochte erkundigte sich bei dem Beamten mit dem Schnurrbart, weshalb er uns diese falsche Auskunft gegeben hatte.
Später berichtete er uns: »Der Mann erklärt, er habe nicht gewusst, dass Sie mit einer Duldung nicht wieder einreisen dürfen. Wir wollen ihm das mal glauben.«
Einige Tage später wurde der Beamte in ein anderes Amt versetzt, für Ausländerfragen war er nun nicht mehr zuständig. Ob er strafversetzt wurde? Ich weiß es nicht. Meine Eltern haben sich offiziell nicht über ihn beschwert. Wahrscheinlich war es nur ein Zufall, dass er einen neuen Posten bekam. Meine Eltern und Pastor Lochte jedenfalls waren glücklich, nichts mehr mit ihm zu tun zu haben.
Kurz vor unserer Reise nach Pakistan hatte Jutta Pape, die Tochter meiner Patentante, einen Brief an Bundespräsident Richard von Weizsäcker geschrieben. Der war gerade ein Jahr im Amt und hatte in seiner Antrittsrede davon gesprochen, man solle Ausländer in Deutschland integrieren und nicht in einen Staat im Staate abdrängen, solle mit ihnen leben und sie kennenlernen, anstatt sie von vornherein zu isolieren.
Jutta nahm ihn beim Wort und forderte in unserem Fall, was auch Pastor Lochte schon angedeutet hatte und was meine Eltern noch nicht auszusprechen wagten: Es gehe
»nur noch um Formalien wie die Möglichkeit, deutsche Papiere zu erlangen, das Wahlrecht auszuüben und die allgemein üblichen Versicherungsverträge abzuschließen«
. Sie bat den Bundespräsidenten deshalb, all die Gerichtsbeschlüsse nach dem Begnadigungsrecht aufzuheben und
»der Familie Kazim den Daueraufenthalt in der Bundesrepublik zu ermöglichen oder, sollte dies nicht möglich sein, zumindest auf die zuständigen Institutionen im Sinne der Familie Einfluß zu nehmen. Wir empfänden es als schwerwiegenden Verlust für das Dorf Hollern-Twielenfleth und auch für die Bereicherung unseres gesellschaftlichen Lebens, sollte die Familie Kazim tatsächlich das Land verlassen müssen«.
Dieser Brief blieb zwar ohne direkte Wirkung, aber immerhin bekamen jetzt auch meine Mutter und wir Kinder die seit Langem versprochene Aufenthaltserlaubnis. Wieder musste meine Mutter alle paar Monate zum Amt und um Verlängerung bitten, aber das war jetzt nur noch eine Formsache.
Beim Einkaufen in Stade hatten meine Eltern zufällig eine Familie aus
Weitere Kostenlose Bücher