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Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hasnain Kazim
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Kinder zur Welt gebracht. Manzoor Ali Naqvi war inzwischen ein alter Mann, der am Stock ging und sein Haar mit Henna färbte. Ihr schönes, weißes Haus wurde nun von jenen Geschwistern meiner Mutter gepflegt, die bei ihren Eltern geblieben waren. Auch im Haus meines Vaters hatte eine andere Generation übernommen: Afsar Begum saß nur noch auf ihrem Charpoy, dem Bett, und kommentierte von dort aus die Ereignisse in der Welt und in der Familie. Für meinen Vater war es der erste Besuch nach dem Tod seines Vaters.
    Sorge bereitete meinen Eltern auch die Frage, ob wir in drei Wochen wieder gemeinsam nach Deutschland reisen könnten. Würde Pastor Lochte es schaffen, die erforderlichen Papiere zu besorgen? Sie hatten beschlossen, dass mein Vater auf jeden Fall wieder zurückfliegen sollte, um rechtzeitig in der Seefahrtschule zu sein. Wir würden dann notfalls nachkommen.
    Meine Eltern sahen Verwandte und Freunde nach vielen Jahren wieder, aber bei aller Freude waren sie in Gedanken schon bei der Abreise. Würde alles klappen?
    Schon am zweiten Tag rief meine Mutter im deutschen Generalkonsulat an und fragte, ob es Neuigkeiten für uns gebe. Nichts. Auch am dritten und vierten Tag – nichts Neues aus Stade.
    Die erlösende Nachricht kam nach fünf quälenden Tagen: Wir alle würden wieder in Deutschland einreisen dürfen! Pastor Lochte hatte Wort gehalten und eine Einreiseerlaubnis erwirkt. Erst jetzt genossen meine Eltern ihren Pakistanurlaub richtig, feierten und besuchten Hunderte von Leuten.
    Für mich dagegen wurde es wirklich schlimm: Ausgerechnet in unsere Zeit in Karatschi fiel das höchste islamische Fest
Id ul-Adha
. Es kennzeichnet den Höhepunkt der Hadsch, der Wallfahrt nach Mekka, und findet jedes Jahr, je nach Stand des Mondes, etwa zehn Tage früher als im Vorjahr statt.
    Die Muslime gedenken mit diesem Fest des Propheten Ibrahim und seiner bestandenen Prüfung durch Gott, der von ihm verlangt hatte, seinen Sohn Ismael zu opfern. Ibrahim ist bereit, erst im letzten Moment gebietet ihm Allah Einhalt. Voller Dankbarkeit, seinen Sohn am Leben lassen zu dürfen, opfert Ibrahim Gott einen Widder. Diese Geschichte findet sich in ähnlicher Version auch in der Bibel, wo Ibrahim Abraham heißt und nicht seinen Sohn Ismael, sondern dessen Bruder Isaak opfern soll, was aber die Botschaft der Geschichte nicht verändert. Im Gegensatz zum biblischen Isaak, der nichts von seinem drohenden Schicksal ahnt, ist Ismael dem Koran zufolge bereit, sich zu opfern:
»Als er
[Ismael]
alt genug war, um mit ihm
[Ibrahim]
zu arbeiten, sprach er: O mein lieber Sohn, ich habe im Traum gesehen, daß ich dich schlachte. Nun schau, was meinst du dazu? Er antwortete: O mein Vater, tu, wie dir befohlen; du sollst mich, so Allah will, standhaft finden.«
(Sure 37, 103)
.
Isaak dagegen weiß bis zuletzt nichts:
»Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer? Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer.«
(1. Mose, 22).
    Ich erwähne das, weil mich vor ein paar Jahren, ich arbeitete da schon als Journalist, ein Islamkritiker anrief und sagte: »Das ist der Unterschied zwischen Christen und Muslimen: dass Muslime bereit sind, für ihre Religion zu sterben. Habe ich recht? Was meinen Sie dazu?«
    Aber was sollte ich schon sagen? Und welche Rolle spielte meine Meinung? Dieser Mann tat so, als müsste ich, nur weil ich einen muslimisch klingenden Namen habe und in Deutschland lebe, eine Brücke schlagen zwischen islamischer und christlicher Welt. Womöglich erhoffte er sich in mir auch einen Kronzeugen gegen den Islam. Aber darauf ließ ich mich nicht ein. Ich kenne viele Muslime, auch viele sehr religiöse, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand von ihnen sein Leben opfert. Warum stellte er also ausgerechnet mir diese Frage?
    »Was genau wollen Sie von mir hören?«, wollte ich wissen.
    »Ich frage mich, warum Muslime wie Sie sich nicht ausdrücklich von Selbstmordanschlägen und Terror distanzieren. Es müsste einen Aufstand der anständigen Muslime geben. Aber nichts dergleichen passiert!«
    Muslime wie ich? Er schloss tatsächlich von meinem Namen auf meine Religion. Ich war verärgert. Wieso sollte ich mich im Namen des Islam von irgendetwas distanzieren? Ich verurteile Terror und Selbstmordanschläge, aber das sage ich als Privatperson, von mir aus auch als

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