den Diamanten habe, will niemand mir den Preis bezahlen, den er wert ist. Ich bin unsagbar frustriert, da ich genau weiß, dass wir bloß schlappe 1000 Dollar brauchen, um über die Runden zu kommen, doch all meine Ressourcen sind erschöpft. Sämtliche anderen Möglichkeiten, an Bares zu kommen, sind a) illegal, b) gefährlich und c) unglaublich widerwärtig, weshalb sie d) vollkommen außer Frage stehen.
Nicht dass es so schrecklich wäre, wieder bei meinen Eltern zu wohnen, auch wenn mir meine Freunde aus Chicago fehlen würden. Aber ich habe das ungute Gefühl, wenn wir jetzt zurück nach Indiana gehen, dann verbauen wir uns die letzte Chance, in absehbarer Zeit wieder in unser altes Leben zurückzukehren. Und das meine ich nicht in materieller Hinsicht; hätten wir es noch mal zu tun, ich glaube, wir würden es ganz anders angehen. Unsere Werte haben sich grundlegend geändert, und wir haben unsere Ansprüche drastisch nach unten geschraubt. Diors neueste Lipglossserie kann mir gestohlen bleiben. Ich will eigentlich nur, dass mein Mann nicht jedes Mal diese tiefen Sorgenfalten auf der Stirn bekommt, wenn das Telefon klingelt. Ich möchte sehen, wie er nach einem erfolgreichen Tag im Büro abends vergnügt pfeifend zur Tür hereinkommt. Ich möchte seinen schmutzigen Thermoskaffeebecher in die Spülmaschine stopfen, weil er ihn mal wieder bloß in die Spüle gestellt hat, statt ihn gleich wegzuräumen. Ich möchte zu meinem Parkplatz gehen und in mein Auto steigen – was für eins, ist mir inzwischen ganz egal – und irgendwohin fahren können. Ich will morgens einen Grund zum Aufstehen haben, ob ich nun Telefondienst schiebe oder einen bedeutenden Beitrag zur Weltliteratur schreibe. Wir haben gelernt, was im Leben wichtig ist und was nicht, und nun brauchen wir bloß eine einzige Chance, das unter Beweis zu stellen.
Ich bin tief in Gedanken versunken, als das Telefon wieder klingelt. Vielleicht ist das ja meine Mom, die es sich anders überlegt hat und uns nun doch das Geld leiht! Habe ich mir doch gedacht, dass die früher oder später einknickt!
Ich wirbele herum, und beim Blick auf die Anruferkennung gefriert mir das Lächeln im Gesicht.
Die Sekretärin unseres Vermieters.
Mist.
An:
[email protected] Von: Kelly aus Kanada
Datum: 5. August 2003
Betreff: Noch einen Rat, bitte!
Liebe Jen,
mein Freund und ich sind beide Mitte zwanzig. Seit zwei Jahren wohnen wir zusammen, und er hat mir noch immer keinen Heiratsantrag gemacht. Wir beide sind sehr glücklich, aber trotzdem mache ich mir ein bisschen Sorgen, weil ich finde, es wird langsam Zeit für den nächsten Schritt. Meinst Du, meine Mutter hat Recht, die immer behauptet: »Warum gleich die ganze Kuh kaufen, wenn man bloß die Milch möchte?« Viele Grüße
Kelly (alias »Die auf den Ring wartet«)
An: Kelly aus Kanada
Von:
[email protected]Datum: 5. August 2003
Betreff: RE: Noch einen Rat, bitte!
Liebe wartende Kelly,
ach ja, die alte »Es ist zwar nicht kaputt, aber vielleicht sollte ich es trotzdem reparieren«-Leier – die kenne ich nur allzu gut. Also, zuallererst bin ich nicht derselben Meinung wie Deine Mutter. Diese Geschichte von der kostenlosen Milch war in der Generation unserer Eltern sehr wohl wahr, aber in unserer stimmt diese These längst nicht mehr, wenn man bedenkt, wie viel kostenlose Milch überall zu haben ist. Man braucht doch bloß kurz vor Ladenschluss in eine Bar zu gehen – das ist der reinste Grabbeltisch für Molkereiprodukte.
Und ich stimme auch den Experten nicht zu, die behaupten, man solle vor der Heirat nicht zusammenziehen. Deren Theorie besagt, damit würde man keine verbindliche Verpflichtung eingehen, und Paare, die vor der Hochzeit zusammenwohnen, würden sich häufiger wieder trennen. Ähm, ja, und ehrlich gesagt, halte ich das für etwas Gutes. Besser, sich einmal darum zanken, wer beim Auszug den Toaster bekommt, als sich irgendwann vierzehn Jahre lang gegenseitig zu zerfleischen, bei wem die Kinder das Wochenende verbringen.
Da ich jüdisch-christliche Moralanweisungen nur zu gerne zu meinen Gunsten auslege, halte ich es für eine wesentlich schwerwiegendere »Sünde«, nach Gutdünken zu heiraten und sich dann wieder scheiden zu lassen, als einen kleinen Probelauf zu unternehmen und erst mal zusammenzuwohnen. (Zu dieser Erkenntnis bin ich übrigens im Laufe der sieben Jahre gekommen, in denen ich mit meinem Freund in »wilder Ehe« zusammengelebt habe.) Viel mehr Paare