Gucci war gestern
Auf alle Zeiten wäre er gezeichnet von den tiefen Wunden seiner tragischen Erinnerungen. Dunkelheit würde die Erde umfangen. Blumen, zerschmettert angesichts des Verlusts ihrer Sonne, würden eingehen und an ihren Stängeln verwelken. In unendlicher Dunkelheit gefangen würden den ganzen Tag lang die Eulen kreischen, und Singvögel würden aufhören, ihre Lieder zu zwitschern. Verzweifelt und so niedergedrückt von seinem Kummer, dass er kaum weiterleben konnte, wäre Fletch nur noch ein Schatten seiner selbst und würde ausschließlich Schwarz tragen. Als einsamer Beat-Poet würde er eine schattenhafte Existenz führen, in feuchten, deprimierenden Cafés bei Open-Mike-Veranstaltungen kettenrauchend herumstehen und auf die Gelegenheit warten, gefühlvolle, rührselige Lobgesänge auf den ewigen Glanz meiner Seele zu singen, der …
»Ich würde dich in deinen neuen Stiefeletten begraben.«
Wie bitte? He! Oh! Nein! Arrrgh!
Ich sah mich herausgefordert, ihm eine schlagfertige Retourkutsche um die Ohren zu hauen, weil er die Möglichkeit meines herzzerreißenden Ablebens so leichtfertig abtat. Aber was sollte ich darauf zurückgeben? Wie mein tiefempfundenes Missfallen zum Ausdruck bringen? Wie konnte er bloß Witze reißen über das Erlöschen des Lebenslicht seiner liebsten Jennifer? Rasch konsultierte ich den Thesaurus in meinem Kopf und fand das perfekte Totschlagargument, um ihn bis ins Mark, bis ins tiefste
Innere zu treffen und ihm vor Augen zu führen, was für ein Narr er war, so beiläufig derart ätzende Worte zu äußern.
»Arschgesicht!«
Fletch zog seine Brille aus und rieb sich die Augen. »Ich gehe ins Arbeitszimmer zum Lesen.«
»Homophober Schwulenhasser!«
»Ich rede erst wieder mit dir, wenn du dich wie ein erwachsener Mensch benimmst.«
»Du Eselschwanzlutscher!«, kreischte ich, während er sich in sein Büro verzog und sich mit beiden Händen die Schläfen hielt, wie immer, wenn er wieder eine Migräne bekam.
»Du solltest damit wirklich mal zum Arzt gehen!«, brüllte ich hinter ihm her, während er leise die Tür hinter sich schloss.
Anderes Thema: Weil mir bisher noch nichts Besseres eingefallen ist, um an meine Asthma-Mittel zu kommen, muss ich einen Job mit guter Gesundheitsversorgung auftun. Also stelle ich mich auf die neuen Stiefelchen 69 und denke scharf nach. Ich weiß, dass ich eine großartige Verkäuferin bin, aber wie kann ich das bei den Personalchefs richtig guter Unternehmen unter Beweis stellen? Vor dem 11. September hätte ich einfach in ein Büro spazieren und denen was vortanzen können, aber mit all den neuen Sicherheitsvorkehrungen steht das völlig außer Frage.
Übers Telefon Kunden an Land zu ziehen war immer schon meine Stärke, also sollte ich vielleicht einfach die Verkaufschefs persönlich anrufen und versuchen, mich so an den Mann zu bringen. Und dabei würde ich ja auch noch ein Produkt vermarkten, das ich wirklich klasse finde, also müsste das eigentlich ein Kinderspiel sein. Aber welche Firmen sollte ich wohl am besten abklappern? Ah, ich weiß! Ich muss einfach wieder anfangen, das Wall Street Journal zu lesen. Die berichten doch immer, wer gerade wächst, wer fusioniert und wer übernimmt, und so hätte
ich dann auch, wenn ich irgendwo anrufe, gleich ein Gesprächsthema. Mal ehrlich, wer würde mich mit derartigen problemlösungsorietierten Fähigkeiten nicht einstellen?
Ach du lieber Himmel, das läuft ja wie am Schnürchen! Hab ich’s doch gleich gewusst, dass ich mit dieser Telefonaktion genau richtigliege. Gut, bisher hatte noch niemand eine freie Stelle für mich, aber alle, mit denen ich gesprochen habe, haben meine Initiative sehr gut aufgenommen, und einige haben mich sogar gebeten, ihnen meine Bewerbungsunterlagen zuzuschicken! Joe Thompson, landesweiter Verkaufschef eines Unternehmens, das bei mir nur das Mutterschiff 70 heißt, möchte, dass ich mich am besten regelmäßig einmal im Monat bei ihm melden solle. Er sagte, ihm »gefällt mein Mumm« 71 und er werde mich persönlich kontaktieren, sobald etwas frei wird. Juhu, ein Hoch auf mich! Und ein Hoch auf das Wall Street Journal ! Wobei mir einfällt, ich muss schnell runterflitzen und die neueste Ausgabe holen.
Ich laufe die vier Stockwerke unserer bekloppten orangeroten offenen Treppe hinunter, die zum Atrium unseres Hauses führt. Als ich vorhin Fletch zum Abschied an der Tür einen Kuss gegeben habe, lag sie noch da, aber jetzt ist sie spurlos verschwunden. Wo kann die bloß
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