0226 - Jagd auf Staatsfeind Nr. 1
Allan McNeily schnallte sich den Gürtel mit der schweren Pistole um. Es war das letzte Mal in seinem Leben. Die Uhr zeigte auf sieben Uhr vierzehn früh, und es war an einem Freitag.
Vor dem Spiegel im Flur blieb er einen Augenblick stehen und drückte sich die Schirmmütze auf den kantigen Kopf. Auf seiner Brust blinkte das Wappen der New Yorker Stadtpolizei, am Ärmel trug er das Rangabzeichen eines Sergeanten.
Achtundzwanzig Jahre bin ich jetzt dabei, dachte er und musterte sein sonnengebräuntes, gefurchtes Gesicht. Mit vierundzwanzig habe ich angefangen, jetzt bin ich zweiundfünfzig. Das ist eine verdammt lange Zeit.
Er blieb auf der Schwelle stehen und blickte in die Küche. Seine Frau hantierte am Spülbecken. Sie trug den verblichenen Kittel, den sie immer anzog, wenn sie Hausarbeiten verrichtete.
»Also, Mutter, ich gehe jetzt«, sagte McNeily.
Patricia McNeily legte das Geschirrtuch beiseite, wischte sich die Hände am Kittel ab und kam heraus. Prüfend glitt ihr Blick über die Uniform ihres Mannes. Sie zupfte ein Härchen vom linken Ärmel und sagte dabei: »Vergiss meine Herztropfen nicht,Vater! Meine Flasche ist leer.«
»Okay, ich werde schon daran denken.«
Er tätschelte ihr die rechte Schulter, drehte sich um und schritt auf die Flurtür zu. Patricia McNeily hörte, wie er die Tür hinter sich zuzog. Sie wandte sich wieder ihrem Geschirr zu.
Unterdessen ging der Sergeant zur nächsten U-Bahn-Station, kaufte sich am Eingang die Morgenzeitung und setzte sich in seinen Zug. Er blätterte die Zeitung durch, ohne auf die Halte stellen zu achten. Er hatte es längst im Gefühl, wann er aussteigen musste.
Auf der dritten Seite erweckte eine Schlagzeile sein Interesse.
FRIST FÜR GNADENGESUCH ABGELAUFEN!
McNeily beugte sich vor. Er las den Artikel: »Es gibt keine gesetzliche Möglichkeit mehr, um dem vor einigen Monaten wegen Mordes zum Tode verurteilten G-man Neville die Hinrichtung zu ersparen. Die vorgesehene Frist für die Einreichung eines Gnadengesuches ist gestern abgelaufen. Neville verzichtete darauf, ein Gnadengesuch an den Gouverneur zu richten. Mit der Festsetzung seines Hinrichtungstermins ist in den nächsten Tagen zu rechnen.«
McNeily ließ die Zeitung sinken. Er schüttelte den Kopf.
War denn dieser alte G-man verrückt geworden? Alle Welt war sich darüber im Klaren, dass sein Gnadengesuch genehmigt worden wäre. Wer so viele Jahre im Dienst gegen das Verbrechertum seine Pflicht erfüllt hatte wie Neville, den konnte selbst der unnachgiebigste Gouverneur nicht hinrichten lassen. Warum hatte der G-man kein Gnadengesuch gestellt?
Der Sergeant stand auf und drängte sich zum Ausgang. Er durchquerte zwei Straßen und betrat sechs Minuten vor acht das Revier. Bis gegen neun hatte er mit dem üblichen Papierkrieg zu tun. Als er sich schon für den Außendienst fertigmachen wollte, wurde er in das Büro des Revierleiters gerufen.
»Guten Morgen, Allan!«, sagte Captain Turner hinter seinem Schreibtisch.
»Guten Morgen, Sir!«, erwiderte McNeily.
»Wer hat vor einem halben Jahr an der Lieutenant-Prüfung teilgenommen und ist durchgefallen, McNeily?«
»Ich, Sir«, sagte der Sergeant mit steinernem Gesicht.
»Wer wollte nicht ein zweites Mal an einer solchen Prüfung teilnehmen?«
»Ich, Sir.«
»Wem habe ich eine halbe Stunde lang zureden müssen, bis er es dann doch tat?«
»Mir, Sir.«
»Eben«, sagte Turner trocken, stand auf und kam um den Schreibtisch herum. »Sie haben die Prüfung bestanden, McNeily. Ihre Beförderungsurkunde wird wohl in einigen Tagen ausgefertigt werden. Gratuliere, Sie Dickschädel.«
McNeily schluckte. Er schüttelte geistesabwesend die Hand des Captain. Lieutenant! schoss es ihm durch den Kopf. Ich werde auf meine alten Tage noch Lieutenant. Ich hätte es nicht für möglich gehalten.
Wie im Traum durchlebte er die nächsten Minuten mit den Glückwünschen der Kollegen. Er kam erst richtig wieder zu sich, als er schon durch die Straßen ging. Er musste an diesem Vormittag die Streifenbeamten auf ihren Rundgängen kontrollieren.
Als er in die stille Straße mit Villengrundstücken einbog, rieb er sich in einem neuerlichen Anfall überschäumender Freude die Hände.
Ein schriller Schrei hallte durch die Stille der ruhigen Straße. McNeily stutzte. Weiter vorn stand ein schwarzer Chrysler auf der Straße. Die dem Gehsteig zugewandten Türen waren offen. Gerade schob ein Mann ein kreischendes Kind in den Wagen, während zwei andere Männer
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