Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht
passiert...«
Ich machte eine Pause. Das war kein toller Auftakt. Genauer gesagt, ein ziemlich kläglicher Auftakt. Sara wartete ab, ohne etwas zu sagen.
Wir schlenderten weiter zwischen den Booten eines kleinen Hafens umher.
»Früher oder später wird einem für alles die Rechnung präsentiert. Das hast du einmal zu mir gesagt, weißt du noch?«
»Ja, und du hast gesagt, dass du vorher abhaust. Wenn sie wollen, können sie mich ja verklagen, hast du gesagt.«
Ich lächelte. Genau das war meine Antwort gewesen. Wenn sie wollten, konnten sie mich ja verklagen. Ich wartete darauf, dass Sara sagte, ich hätte es immer verstanden, abzuhauen, ohne meine Zeche zu begleichen. Grund genug hätte sie dazu gehabt, aber sie tat es nicht. Also sprach ich weiter.
»Zu den Dingen, die mir passiert sind, gehört auch, dass ich langsamer geworden bin; ich schaffe es nicht mehr schnell genug, abzuhauen. Deshalb haben sie mich geschnappt und mir alle offenen Rechnungen auf einmal präsentiert. Das war nicht sehr lustig.«
Ich setzte mich auf ein umgedrehtes Boot, nahe am Wasser. Sie setzte sich auf das Boot daneben, mir genau gegenüber. Ich war im Nu zum schwierigsten Teil gekommen und wusste nicht recht weiter.
»Na ja, und mitten in alledem merkte ich irgendwann... dass es da noch eine Rechnung gab... eine, die ich auf keinen Fall offen lassen durfte. Ich meine, wo ich schon einmal dabei war zu zahlen...«
Sie sah mich an, den Kopf leicht zur Seite geneigt, Auge in Auge. Ich spürte, dass ich eine Zigarette brauchte, zog eine heraus, zündete sie an und wartete, bis der Rauch meine Lungen ausfüllte. Erst dann sprach ich weiter.
Ich zählte alles auf, was ich glaubte, ihr zu schulden, einfach so, wie mir die Worte kamen. Sie hörte zu, ohne mich zu unterbrechen, und auch als ich fertig war, wartete sie noch eine ganze Weile, bevor sie etwas sagte. Um sicherzugehen, dass ich wirklich fertig war. Ich meine, dass ihre Augen dabei glänzten, soweit ich das in der Dunkelheit sehen konnte. Meine glänzten auf alle Fälle, und um das zu wissen, brauchte ich kein Licht. Als sie endlich sprach, wusste ich, dass ich an diesem Abend das Richtige getan hatte.
»Heute hast du mir jeden Tag, jede einzelne Minute unserer gemeinsamen Zeit zurückgegeben. Seit unserer Trennung verfolgte mich ein scheußlicher Gedanke... der Gedanke, mit dir fast zehn Jahre meines Lebens vergeudet zu haben. Ich habe mich dagegen gewehrt und ihn verdrängt, aber er kam wieder, ich dachte schon, das hört überhaupt nicht mehr auf. Es war die reinste Qual. Heute Abend hast du mich davon befreit... und mir meine Erinnerungen zurückgegeben.«
Jetzt lächelte sie sogar ein wenig.
Auch ich versuchte ein Lächeln zustande zu bringen, aber eigentlich war mir zum Weinen. Eine Zeit lang versuchte ich, mich zu beherrschen, dann gab ich es auf und ließ zu, dass meine Augen sich mit Tränen füllten und dass diese Tränen mir übers Gesicht liefen.
Sie wartete, bis es vorbei war, und strich mir dann mit zwei Fingern sacht über die Wangenknochen.
Das war der Moment, in dem ich ihr mein Geschenk überreichte. Eine Herrenuhr mit Lederarmband und großem Gehäuse, wie ich sie vor vielen Jahren einmal selbst besessen hatte. Sara hatte sie mir damals immer wieder geklaut, weil sie ihr so gut gefiel. Irgendwann verlor ich sie auf einer Reise, und Sara war darüber sehr traurig gewesen. Viel trauriger als ich. Ich hatte mir hundertmal vorgenommen, ihr eine solche Uhr zu schenken, aber ich habe es nie getan. Wie ich so vieles andere nie getan habe.
Sie band sich die Uhr um, ohne etwas zu sagen, und dann war es Zeit, nach Hause zurückzufahren.
Etwa dreißig Meter von ihrer Haustür entfernt fand ich eine Parklücke. Ich parkte, stellte den Motor ab und drehte mich nach ihr um, aber ich wusste nicht, was ich tun sollte. Sara wusste es. Sie umarmte mich heftig, beinahe stürmisch, indem sie ihr Kinn auf meine Schulter legte und ihren Kopf an meinen drückte. In dieser Stellung verharrten wir ein paar Sekunden, dann riss sie sich los. Danke, flüsterte sie, bevor sie die Tür öffnete und ausstieg.
Ich danke dir, flüsterte ich ins leere Auto, während sie im Hausflur verschwand.
19
I n dieser Nacht schlief ich nicht. Ich versuchte es erst gar nicht. Statt ins Bett zu gehen, setzte ich mich auf den Balkon und lauschte den Geräuschen der Straße. Dabei zündete ich vier oder fünf Zigaretten an, nahm aber immer nur ein paar Züge und hielt sie ansonsten zwischen
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