Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht
Zeige- und Mittelfinger, wo sie langsam abbrannten. Ich betrachtete die Fenster und Balkone von gegenüber, die Antennen auf den Dächern und den Himmel.
Im Morgengrauen kam ein kühler Maestrale auf; ich fröstelte bereits bei den ersten Windstößen.
Man sagt, der Maestrale dauert entweder drei oder sieben Tage. Es wird also drei oder sieben Tage lang nicht heiß werden, dachte ich. Wenigstens nicht allzu heiß.
Ich habe den Maestrale im Sommer schon immer gemocht. Weil er die Luft rein fegt, die schwüle Hitze verdrängt und du dich freier fühlst. Ich fand es richtig, dass er gerade an diesem Morgen aufkam.
Ich dachte an Rechnungen, die beglichen werden, und an Dinge, die neu beginnen. Ich hatte Angst, aber zum ersten Mal in meinem Leben wollte ich diese Angst nicht unterdrücken, nicht vor ihr weglaufen. Und das war ein herrliches, ein absolut überwältigendes Gefühl.
Ich betrachtete den Himmel, der allmählich aufzuhellen begann, und die grauen Wolken, die einem im Juli so seltsam, so fehl am Platze vorkommen.
In Kürze würde ich aufstehen und ein wenig durch die menschenleeren Straßen wandern. Später würde ich mich dann in ein Straßencafé an der Uferpromenade setzen und einen Cappuccino trinken. Ich würde zusehen, wie sich das Straßenbild mit Fortschreiten des Tages veränderte. Ich würde noch einen Cappuccino bestellen und eine Zigarette rauchen, und wenn es dann richtig hell war, würde ich nach Hause gehen. Ich würde schlafen, lesen, ans Meer gehen, einen ganzen Tag lang nur das tun, wozu ich Lust hatte.
Ich würde warten, dass es Abend wurde, und erst dann Margherita anrufen. Ich wusste noch nicht, was ich zu ihr sagen würde, aber ich war mir sicher, dass ich die richtigen Worte finden würde.
Dies und mehr ging mir durch den Kopf, während ich auf meinem Balkon saß.
Auch, dass ich diesen Moment mit niemandem getauscht hätte.
Um nichts in der Welt.
Gianrico Carofiglio
In freiem Fall
Roman
224 Seiten · gebundene Ausgabe · 3-442-31133-0
Niemand in Bari will Martina Fumai dabei helfen, ihren gewalttätigen Exfreund vor Gericht zu bringen. Denn er ist der Sohn eines gefürchteten Richters. Anwalt Guido Guerrieri weiß, dass dies das Ende seiner Karriere bedeuten kann. Und doch vermag er der Versuchung des scheinbar aussichtslosen Falls nicht zu widerstehen – ebenso wenig wie der Faszination von Schwester Claudia, der Leiterin des Frauenhauses, in dem Martina Fumai untergebracht ist. Die Jeans und Lederjacke tragende Nonne hilft Guerrieri bei seinen Ermittlungen – und birgt auch selbst ein schreckliches Geheimnis...
»Die Probe aufs Exempel ist immer der zweite Roman. Dann erst
sieht man wirklich, aus welchem Holz ein Autor geschnitzt ist. In
diesem Fall lässt sich sagen: Das Holz ist hervorragend!«
La Repubblica
»Bisher hat er drei Kriminalromane veröffentlicht, die monatelang
auf den italienischen Bestsellerlisten standen, nicht zuletzt deshalb,
weil er seine erfolgreiche Hauptfigur sowohl mit kriminalistischem
Gespür als auch mit Verletzlichkeit, menschlicher Integrität und
Humor ausgestattet hat.«
Berliner Morgenpost
»›In freiem Fall‹ ist eines dieser raren Bücher, die man in einem
Atemzug liest, nicht nur, weil man gespannt auf das Ende ist, sondern
weil man im Gegenteil hofft, das Buch möge nie enden. Denn
man möchte immer mehr erfahren über diesen Mann, der wie ein
Freund ist, mit dem man viel gemeinsam hat.«
StradaNove
GOLDMANN VERLAG
Die italienische Originalausgabe erschien 2002
unter dem Titel »Testimone inconsapevole«
bei Sellerio editore Palermo.
Verlagsgruppe Random House
6. Auflage
Taschenbuchausgabe April 2007
Copyright © er Originalausgabe 2002 by Gianrico Carofiglio Copyright © er deutschsprachigen Ausgabe 2006
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlagfoto: mauritius images
AM · Herstellung: Str.
eISBN : 978-3-641-02387-4
www.goldmann-verlag.de
www.randomhouse.de
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