Gullivers Reisen
verleitete, die ich mir in Darstellung der Dinge nahm. Als ich kaum ein Jahr im Lande gewesen war, empfand ich solche Liehe und Verehrung für die Einwohner, daß ich den festen Entschluß faßte, niemals zum Menschengeschlechte zurückzukehren, sondern mein Leben bei den bewunderungswürdigen Hauyhnhnms in Betrachtung und Ausübung jeder Tugend zuzubringen, von denen ich weder ein Beispiel noch Anregung zum Laster erhalten konnte. Das Schicksal, mein ewiger Feind, hatte jedoch beschlossen, ein so großes Glück solle mir nicht zu Theil werden. Jetzt gereicht mir jedoch der Gedanke zum Trost, daß ich in Allem, was ich von meinen Landsleuten sagte, ihre Fehler so sehr verminderte, wie ich es nur vor einem so strengen Examinator durfte; bei jedem Artikel gab ich der Sache eine möglichst günstige Wendung. Welcher Mensch würde nämlich durch Parteilichkeit für sein Geburtsland nicht hingerissen werden?
Ich habe den Hauptinhalt mehrerer Gespräche, die ich mit meinem Herrn während der Zeit hielt, da ich in seinen Diensten war, angegeben; der Kürze halber habe ich jedoch weit mehr ausgelassen, als hier aufgezeichnet ist.
Als ich alle seine Fragen beantwortet hatte, und als seine Neugier vollkommen befriedigt schien, ließ er mich eines Morgens in der Frühe rufen und befahl mir, mich in einiger Entfernung von ihm zu setzen; eine Ehre, die er mir vorher noch nie erwiesen hatte. Er sagte: Mit großem Ernste habe er meine ganze Geschichte, die ich sowohl in Betreff meines Vaterlandes wie meiner selbst gegeben, überlegt; er habe uns als eine Art Thiere betrachtet, denen durch irgend einen ihm unbegreiflichen Zufall ein kleiner Theil Vernunft anheimgefallen sey. Wir beraubten uns jedoch selbst der wenigen uns gegebenen Fähigkeiten; wir seyen in der Vermehrung unserer ursprünglichen Bedürfnisse sehr glücklich gewesen, und schienen unser ganzes Leben in vergeblichen Bemühungen zuzubringen, dieselben durch Erfindungen zu befriedigen. Was mich betreffe, so besitze ich weder die Kraft noch die Behendigkeit eines gewöhnlichen Yähu; ich gehe schwach auf meinen Hinterfüßen, habe ein Verfahren ausfindig gemacht, meine Klauen nutzlos zu machen, die mir auch nicht zur Vertheidigung dienen könnten, und das Haar von meinem Kinne zu entfernen, welches zum Schutzmittel vor Sonne und Wetter bestimmt sey. Endlich könne ich auch weder so schnell laufen noch auch Bäume erklimmen, wie die Yähus dieses Landes (diese nannte er gütigst meine Brüder). Unsere Institutionen, in Betreff der Regierung und Gesetze, entsprängen offenbar aus unserem Mangel an Vernunft und somit auch an Tugend; Vernunft allein sey genügend, ein vernünftiges Geschöpf zu regieren; wir dürften deßhalb keinen Anspruch auf den Charakter desselben machen. Dies aber müsse er aus meinem Berichte über mein eigenes Volk schließen, obgleich er sehr wohl sehe, ich habe, um dasselbe zu begünstigen, manches verschwiegen, und auch öfter das Ding gesagt, welches nicht existire.
Seine Meinung werde um so mehr bestätigt, da er bemerke, ich gleiche den andern Yähus in allen Theilen meines Körpers, mit Ausnahme derjenigen, wo die Verschiedenheit in Hinsicht der Stärke, Schnelligkeit, Behendigkeit mir zum wirklichen Nachtheile gereiche, wie in der Kürze meiner Klauen und in einigen andern Einzelnheiten, wobei die Natur nicht mitgewirkt habe. Nach der Darstellung, die ich ihm von unserer Lebensart, unseren Sitten und Handlungen gegeben, müsse er dieselbe Aehnlichkeit, hinsichtlich der geistigen Eigenschaften finden. Er sagte: Es sey bekannt, daß die Yähus einander haßten, und zwar in noch höherem Grade wie die übrigen Thierarten. Der gewöhnlich angeführte Grund liege in der Häßlichkeit ihrer Körperformen, die sie sämmtlich bei den übrigen, aber nicht bei sich selbst erblicken könnten. Er sey somit auf den Gedanken gekommen, daß wir nicht unklug handelten, indem wir unsere Leiber bedeckten, da wir durch diese Erfindung manche Häßlichkeiten vor einander versteckten, welche sonst kaum zu ertragen wären. Jetzt aber finde er, daß er sich geirrt habe, und daß die Zwistigkeiten jener Thiere in seinem Vaterlande aus demselben Grunde, wie bei den unsrigen entstünden. Denn, fuhr er fort, wenn Ihr fünf Yähus so viel Futter vorwerft, als fünfzig genügen müßte, so werden sie, anstatt friedlich zu essen, über einander herfallen; jeder Einzelne ist so gierig, daß er Alles für sich allein haben will.
Deßhalb steht gewöhnlich ein Diener in
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