Gullivers Reisen
Tasche gezogen hatte, und ich bemerkte, daß sowohl Soldaten als Volk über dies Zeichen meiner Gnade entzückt waren, welches sehr zu meinen Gunsten bei Hofe erzählt wurde.
Gegen Abend gelangte ich mit einiger Schwierigkeit in mein Haus und legte mich dort auf den Boden nieder. Dies mußte ich ungefähr vierzehn Tage lang thun, während welcher Zeit auf Befehl des Kaisers ein Bett für mich zugerichtet wurde. Sechshundert Betten von gewöhnlichem Maß wurden in mein Haus gebracht und dort bearbeitet; hundertundfünfzig Betten, zusammengenäht, bildeten die Länge und Breite einer Matratze; vier davon wurden über einander gelegt, waren mir aber noch immer nicht bequem genug, wegen der Härte des Fußbodens von polirtem Stein. In demselben Verhältniß wurde ich mit Kissen, Betttüchern und Decken versehen, die mir so ziemlich erträglich schienen, da ich so lange an Strapazen jeder Art gewöhnt gewesen war.
Als die Nachricht von meiner Ankunft sich im Königreiche verbreitete, strömte eine wunderbare Menge reicher, fauler und neugieriger Leute herbei, um mich zu sehen. Die Dörfer standen beinahe leer, und eine bedeutende Vernachlässigung der Landwirthschaft hätte die Folge seyn müssen, wenn Se. kaiserliche Majestät diese Nachtheile durch mehrere Proklamationen und Staatsbefehle nicht verhindert hätte. Sie gebot, alle diejenigen, welche mich bereits gesehen hätten, sollten nach Hause kehren, und sich nicht unterstehen, ohne Erlaubniß des Hofes, in den Bereich meines Hauses bis auf fünfzig Ellen zu kommen. Hierdurch erlangten zugleich die Staatssekretäre bedeutende Honorare.
Mittlerweile hielt der Kaiser häufige Rathsversammlungen, um zu überlegen, wie man mit mir verfahren müsse. Ein besonderer Freund, zugleich ein Mann vom höchsten Stande, der alle Geheimnisse vortrefflich kannte, hat mir nachher die Versicherung gegeben, der Hof sey meinethalben in bedeutender Verlegenheit gewesen. Man fürchtete, ich möchte meine Fesseln zerreißen, oder so viel essen, daß eine Hungersnoth die nothwendige Folge seyn müßte. Einige Male beschloß der Hof, mich verhungern zu lassen, oder Gesicht und Hände mit vergifteten Pfeilen zu beschießen, welche mich bald würden getödtet haben; dann aber überlegte man wieder, der Gestank einer so großen Leiche könne eine Pest in der Hauptstadt erregen, die sich dann wahrscheinlich im ganzen Königreiche verbreitet hätte. Während dieser Berathungen traten mehrere Offiziere an die Thür des Saales, wo der Rath versammelt war. Zwei von ihnen wurden zugelassen und berichteten mein Verfahren gegen die sechs vorher erwähnten Verbrecher. Dies machte auf das Herz Sr. Majestät und auf den ganzen Rath einen so günstigen Eindruck, daß ein kaiserlicher Befehl erlassen ward, wonach alle Dörfer bis auf die Entfernung von neunhundert Ellen jeden Morgen sechs Ochsen, vierzig Schafe und andere Nahrung als meinen Lebensunterhalt liefern sollten: darunter befand sich eine verhältnißmäßige Masse von Brod, Wein und anderen geistigen Getränken. An Zahlungs Statt gab Se. Majestät Anweisungen auf die Schatzkammer, denn dieser Fürst bestreitet seinen Hofhalt fast ausschließlich aus den Einkünften seiner Domänen. Nur selten und bei außerordentlichen Gelegenheiten werden Abgaben von seinen Unterthanen erhoben, welche dagegen auf ihre eignen Kosten in den Krieg ziehen müssen. Auch wurden sechshundert Personen als meine Bediente angestellt, welche bestimmten Lohn für ihre Nahrung und passend eingerichtete Zelte an den beiden Seiten meiner Thür zur Wohnung erhielten. Ferner ward befohlen, dreihundert Schneider sollten mir einen Anzug nach der Mode des Landes verfertigen; sechs Gelehrte, und zwar die bedeutendsten im Besitz Sr. Majestät, sollten mich in der Landessprache unterrichten; endlich sollten die Pferde des Kaisers, die des Adels und der Garden häufig vor mir zugeritten werden, damit sie sich an meine Person gewöhnten. Alle diese Befehle wurden gehörig zur Ausführung gebracht; nach ungefähr drei Wochen hatte ich bedeutende Fortschritte im Erlernen der Sprache gemacht; während dessen beehrte mich der Kaiser häufig mit seinen Besuchen und hatte die Gnade meinen Lehrern beim Unterricht zu helfen. Wir fingen bereits an, einigermaßen uns zu verständigen, und die ersten Worte, die ich lernte, war der Satz: Er möge mir gütigst meine Freiheit schenken, eine Phrase, die ich täglich kniend wiederholte. Seine Antwort, so viel ich begreifen konnte, lautete: »Nur
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