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Gullivers Reisen

Gullivers Reisen

Titel: Gullivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Swift
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welches Kinder bei schrecklichen Geschichten von Geistern und Gespenstern empfinden, die sie begierig anhören, um aus Furcht nicht zu Bett gehen zu können.
    Die Weiber dieser Insel sind außerordentlich lebhaft. Sie verachten ihre Gatten, und lieben die Fremden außerordentlich. Fremde kommen in bedeutender Anzahl vom Festlande herüber, und begeben sich an den Hof entweder wegen der Geschäfte ihrer Städte und Corporationen, oder wegen anderer Gelegenheiten, welche ihre eigenen Personen betreffen. Sie werden jedoch verachtet, weil sie keine hohen Geistesgaben besitzen. Unter diesen wählen die Damen ihre Liebhaber. Hiebei ereignet sich jedoch leicht ein Unglück. Die Ehemänner sind so sehr in ihre Spekulationen vertieft, daß ihre Frauen vor ihren Augen sich mit den Liebhabern die größten Vertraulichkeiten erlauben dürfen, wenn die Ehemänner Papier und Instrumente zur Hand, oder keinen Klatscher an ihrer Seite haben.
    Die Gattinnen und Töchter beklagen, daß sie auf die Insel beschränkt sind, obgleich ich dieselbe für den angenehmsten Ort der ganzen Welt halte. Wie sehr sie auch im Ueberfluß leben, wollen sie die Welt sehen und die Vergnügungen der Hauptstadt genießen, was ihnen ohne besondere Erlaubniß des Königs nicht gestattet wird. Diese Erlaubniß wird aber nur nach vielen Schwierigkeiten erlangt, da die Personen von Stande häufig erfahren haben, wie schwer es ist, ihre Frauen zur Rückkehr zu überreden. Mir wurde erzählt, eine vornehme Hofdame, die bereits mehrere Kinder hatte, an den Premierminister, den reichsten Unterthan des Königreiches vermählt war, welcher schön und in sie verliebt auf dem schönsten Punkte der Insel wohnt, sey unter dem Vorwande, ihre Gesundheit zu verbessern, nach Lagado gereist, und habe sich dort mehrere Monate lang verborgen, bis der König einen Befehl, sie aufzusuchen, absandte. Hierauf fand man sie in einer niedrigen Kneipe und zwar ganz zerlumpt, da sie ihre Kleider verpfändet hatte, um einen alten und häßlichen Bedienten zu ernähren, der sie täglich prügelte, und aus dessen Gesellschaft sie widerstrebend fortgeführt wurde. Obgleich ihr Gemahl sie mit aller nur möglichen Güte und ohne den geringsten Vorwurf empfang, gelang es ihr dennoch wieder, sich hinabzustehlen. Sie begab sich mit allen ihren Juwelen zu demselben Galan, und man hat seitdem nichts mehr von ihr gehört.

    Der Leser glaubt vielleicht, diese Geschichte habe sich in Europa oder in England, aber nicht in einem so entfernten Lande ereignet. Er muß jedoch bedenken, daß die Launen der Weiber nicht auf ein besonderes Klima oder Volk beschränkt und bei Weibern überhaupt allgemeiner sind, wie man sich wohl einbilden kann.
    Nach ohngefähr einem Monat hatte ich bedeutende Fortschritte im Erlernen der Landessprache gemacht, und war im Stande, die Fragen des Königs zu beantworten, wenn ich die Ehre einer Audienz erhielt. Seine Majestät zeigte aber nicht die geringste Neugier in Betreff der Gesetze, Regierungsform, Geschichte, Religion oder der Sitten jener Länder, die ich bereits gesehen hatte, sondern beschränkte ihre Fragen auf den Zustand der mathematischen Wissenschaften. Der Bericht, welchen ich gab, wurde mit größter Gleichgültigkeit und Verachtung von dem König angehört, obgleich die Klatscher an beiden Seiten ihre Maschinen häufig in Wirksamkeit setzten.

Drittes Kapitel.

    Ein durch neuere Philosophie und Astronomie ausgelöstes Phänomen. Die Fortschritte der Laputier in letzterer Wissenschaft. Das Verfahren des Königs bei der Unterdrückung von Aufständen.

    Ich ersuchte den König um Erlaubniß, die Merkwürdigkeiten der Insel besehen zu dürfen. Seine Majestät hatte die Gnade, mir dieselbe zu bewilligen und befahl meinem Lehrer mich zu begleiten. Ich wollte hauptsächlich wissen, welchen künstlichen und natürlichen Ursachen die Insel ihre Bewegungen verdanke, und will hierüber dem Leser jetzt einen philosophischen Bericht erstatten.
    Die fliegende oder schwebende Insel ist zirkelförmig, beträgt siebentausend achthundert und siebenunddreißig Ellen, oder vier und eine halbe Meile im Durchmesser, und enthält somit zehntausend Morgen Land. Die Dicke beträgt dreihundert Ellen. Der Boden erscheint denen, welche sie von unten aus erblicken, als eine ebene Fläche von Diamant, die zur Höhe von zweihundert Ellen aufsteigt. Ueber dieser Fläche liegen mehrere Mineralschichten in gewöhnlicher Ordnung, und über diesen eine Lage wie von fetter Dammerde in der

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