Gullivers Reisen
zweihundert Ellen dick ist, durch den plötzlichen Stoß zerbrochen, oder wenn sie den Feuern der Häuser zu nahe käme, einen Riß, wie bei uns ein Schornstein, bekommen, mag derselbe auch von Stein und Eisen erbaut seyn. Das Volk ist mit allen diesen Umständen genau bekannt und weiß sehr wohl, wie weit es seinen Eigensinn treiben darf, wenn Freiheit und Eigenthum in Gefahr geräth. Der König, wenn er am heftigsten gereizt und entschlossen ist, eine Stadt in einen Schutthaufen zu verwandeln, läßt die Insel nur langsam hinabsteigen, wobei er zärtliche Liebe zu seinen Unterthanen als Vorwand angibt, jedoch in Wirklichkeit die Besorgniß hegt, einen Riß in den diamantenen Boden zu bewirken. Alle Naturforscher sind nämlich der Meinung, in dem Fall würde der Magnet die Insel nicht mehr tragen können, und die ganze Masse würde zu Boden fallen müssen.
Durch ein Grundgesetz des Königreichs darf weder der Monarch noch seine zwei ältesten Söhne die Insel verlassen, auch nicht die Königin, bis sie ihr Kindbett überstanden hat.
Viertes Kapitel.
Der Verfasser verläßt Laputa. Reise nach Balnibarbi; er kömmt in der Hauptstadt an. Die Beschreibung der Hauptstadt und des umliegenden Landes. Der Verfasser wird von einem vornehmen Manne gastfreundlich aufgenommen. Seine Unterhaltung mit demselben.
Quälereien habe ich zwar auf dieser Insel nicht erleiden müssen, ich hielt mich jedoch für vernachläßigt, und sogar auch theilweise für verachtet. Weder der König noch das Volk zeigte Neugier für irgend eine andere Kenntniß als Mathematik und Musik, worin die Laputier mir überlegen waren, und mich deßhalb geringschätzten. Als ich nun die Merkwürdigkeiten der Insel gesehen hatte, war mein größter Wunsch, sie zu verlassen, denn ich war der Einwohner herzlich müde. Sie waren wirklich in zwei Wissenschaften, für die ich die größte Achtung hege und womit ich auch nicht unbekannt bin, im höchsten Grade ausgezeichnet, allein zugleich so sehr in ihre Spekulationen vertieft, daß ich mich niemals in unangenehmerer Gesellschaft befunden habe. Ich unterhielt mich während meines zweimonatlichen Aufenthalts allein mit Weibern, Klatschern und Pagen, wodurch ich mich zuletzt sehr verächtlich machte. Diese waren jedoch die einzigen Leute, von denen ich vernünftige Antworten erhalten konnte.
Durch angestrengtes Studium hatte ich mir eine bedeutende Kenntniß der Landessprache verschafft. Es war mir aber langweilig auf einer Insel zu bleiben, wo ich so wenig Ermuthigung erhielt, und beschloß deßhalb, sie mit der ersten Gelegenheit zu verlassen.
An dem Hofe befand sich ein vornehmer Mann, welcher mit dem Könige nahe verwandt und deßhalb allein mit Achtung behandelt wurde. Im Uebrigen hielt man ihn für die unwissendste und dummste Person. Er hatte der Krone viele ausgezeichnete Dienste erwiesen, besaß Talente und äußere Bildung, Rechtschaffenheit und Ehrgefühl, allein durchaus kein musikalisches Gehör, so daß seine Feinde behaupten konnten, er habe häufig den Takt zu unrechter Zeit angegeben. Auch konnten ihm seine Lehrer nur mit äußerster Schwierigkeit die leichtesten mathematischen Sätze beibringen. Er hatte die Güte, mir häufig Gunstbezeugungen zu erweisen, und wünschte Kenntniß von den Angelegenheiten Europa's, von den Gesetzen, Gewohnheiten und Wissenschaften der verschiedenen von mir bereisten Länder zu erlangen. Er lieh mir ein aufmerksames Ohr und machte verschiedene sehr weise Bemerkungen über meinen Bericht. Er hatte zwei Klatscher, jedoch nur um sich der Sitte zu fügen, denn er gebrauchte sie nie, ausgenommen wenn er bei Hof war, oder ceremoniöse Besuche abstattete. Wenn wir allein waren, befahl er ihnen gewöhnlich sich zu entfernen.
Ich ersuchte diesen vornehmen Herrn, mich in einer Bitte an den König, in Betreff der Erlaubniß zur Abreise, zu unterstützen. Er hatte die Güte, mir zu willfahren, wie er jedoch gnädigst bemerkte, nur mit Widerwillen. Er machte mir auch wirklich mehrere vortheilhafte Anträge, die ich jedoch mit Beweisen der größten Dankbarkeit ablehnen mußte.
Am 11. Februar nahm ich Abschied vom König und vom Hof. Der König machte mir ein Geschenk, welches ungefähr zweihundert Pfund Sterling werth war, und mein Beschützer gab mir dieselbe Summe, zugleich mit einem Empfehlungsschreiben an einen seiner Freunde in der Hauptstadt Lagado. Als die Insel über einem zwei Stunden von Lagado entfernten Berge schwebte, ward ich von der untersten Terrasse in
Weitere Kostenlose Bücher