Gullivers Reisen
Tiefe von zehn oder zwölf Fuß. Die abhängige Lage der ersten Oberfläche, vom Umkreise bis zum Mittelpunkte, ist die natürliche Ursache, weßhalb Thau und Regen, der auf die Insel fällt, in kleinen Bächen nach der Mitte dringen und sich dort in große Becken ausleeren, die ungefähr eine halbe Meile im Umfang betragen, und zweihundert Ellen vom Mittelpunkte entfernt sind. Die Sonne verdunstet dieses Wasser fortwährend am Tage, so daß es nicht überfließen kann. Da der König außerdem nach Belieben die Insel über die Wolken- und Dünstregion erheben kann, vermag er das Niederfallen des Regens und Thaues, wie er will, verhindern. Die höchsten Wolken können ja nach der Behauptung der Naturforscher nicht über eine Stunde steigen; in diesem Lande hat man wenigstens die Bemerkung gemacht.
Im Mittelpunkt der Insel befindet sich eine Spalte von fünfzig Ellen im Durchmesser, von wo die Astronomen in ein großes Gebäude steigen, das deßhalb Flandona gagnole , oder die Astronomenhöhle heißt, und hundert Ellen über der Oberfläche des Diamants liegt. In dieser Höhle brennen fortwährend zwanzig Lampen, welche durch den Reflex des Diamants nach allen Seiten hin ein starkes Licht ausströmen. Der Ort ist mit einer großen Menge von Astrolaben, Sextanten, Quadranten, Teleskopen und anderen astronomischen Instrumenten versehen. Die größte Merkwürdigkeit, wovon das Schicksal der Insel abhängt, besteht in einem Magnetstein von ungeheurer Größe, welcher an Gestalt einem Weberschiff ähnlich ist. Er beträgt sechs Ellen in der Länge, und am dicksten Theil wenigstens drei Ellen. Dieser Magnet wird durch eine starke diamantene Axe gehalten, welche die Mitte durchdringt; man hat ihn so genau im Gleichgewicht aufgestellt, daß die schwächste Hand ihn drehen kann. Er ist mit einem hohlen Cylinder von Diamant eingefaßt, der vier Fuß in Tiefe und Dicke, zwölf Ellen im Durchmesser beträgt, und in horizontaler Lage von acht diamantenen, sechs Fuß hohen Füßen gehalten wird. In der Mitte der concaven Seite befindet sich eine zwölf Zoll tiefe Rinne, worin die Extremitäten der Axe liegen, und nach der sich bietenden Gelegenheit gedreht werden.
Der Stein kann durch keine Kraft fortgebracht werden, weil der Reif und die Grundlage mit dem diamantenen Körper zusammenhängen, welcher den Boden der Insel bildet.
Vermöge dieses Magnetsteins wird die Insel gehoben, gesenkt und fortbewegt. In Betreff des von dem König beherrschten Landes besitzt der Stein am einen Ende eine anziehende Kraft , und an dem andern eine zurückstoßende . Richtet man den Magnet in die Höhe, so daß die anziehende Kraft der Erde zugerichtet ist, so senkt sich die Insel; richtet man die zurückstoßende Extremität nach unten, so steigt die Insel; erhält der Stein eine schräge Richtung, so bewegt sich die Insel in derselben Weise. Der Magnet äußert stets seine Kräfte in paralleler Richtung .
Durch diese schräge Bewegung wird die Insel zu den verschiedenen Theilen des Reiches getragen. Um diese Reiseart auszudrücken, mag AB eine queer durch das Gebiet von Balnibarbi gezogene Linie bedeuten, CD den Magnet darstellen, wovon D das repulsirende, C das attrahirende Ende ist; die Insel selbst schwebt über C. Erhält nun der Magnet die Richtung CD mit dem repulsirenden Ende nach unten, so bewegt sich die Insel nach D. Ist sie in D angekommen, mag man den Stein auf seiner Axe drehen, bis das attrahirende Ende auf E gerichtet ist, und die Insel wird sich alsdann nach E bewegen; wird der Stein nun wieder gedreht, bis er die Stellung EF annnimmt, mit dem repulsirenden Ende nach unten, so wird die Insel in schräger Richtung nach F steigen, und richtet man sie durch die Attractive nach G, wird sie sich nach G erheben, und von G nach H kommen, wenn man das repulsirende Ende gerade nach unten stellt. Indem man so die Richtung des Steines verändert, läßt man die Insel in schräger Richtung fallen und steigen (letztere ist jedoch nicht sehr bedeutend), und transportirt sie von einem Theile des Landes zum andern.
Man muß jedoch bemerken, daß diese Insel sich nicht über das Königreich hinaus bewegen und auch nicht höher als zwei Stunden steigen kann. Die Astronomen, welche dicke Bücher über den Stein geschrieben haben, erklären dies aus folgendem Grunde: die magnetische Kraft dehne sich nicht über vier Meilen weit aus, und das Mineral, welches auf den Stein einwirkt, und im Inneren der Erde und in dem Meere bis auf die Entfernung von
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