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Gullivers Reisen

Gullivers Reisen

Titel: Gullivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Swift
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Alsdann schrieb ich jeden Satz mir auf. Er zeigte mir auch in einem Buche die Gestalten der Sonne, des Mondes und der Sterne, des Zodiacus, der Wende- und Polarkreise, nebst den Benennungen vieler Pflanzen und festen Körper. Er nannte und beschrieb mir die verschiedenen musikalischen Instrumente, und zeigte mir die Spielart auf jedem einzelnen. Nachdem er mich verlassen, brachte ich alle Worte mit den Auslegungen in alphabetische Ordnung. So erlangte ich in wenigen Tagen bei meinem nicht unbedeutenden Gedächtnisse eine ziemliche Kenntniß der Landessprache.
    Das Wort, welches ich durch »fliegende« oder »schwebende Insel« übersetze, heißt im Original Laputa. Die richtige Ableitung habe ich aber nie ersehen können. Lap bedeutet in der veralteten Sprache hoch und untuh Gouverneur. So ist durch verdorbene Aussprache Laputa aus Lapuntuh entstanden. Mir aber gefällt diese Ableitung nicht, denn sie scheint mir gezwungen. Ich war so kühn, den Gelehrten des Landes eine von mir gemachte Conjektur anzubieten, Laputa sey quasi lap utet ; lap bedeutet nämlich das Flimmern der Sonnenstrahlen im Meer, und utet ein Hügel; mit dieser Auslegung will ich mich jedoch nicht aufdringen, sondern dieselbe dem Urtheile des verständigen Lesers überlassen.
    Die Herren, denen mich der König anvertraut hatte, bemerkten, wie schlecht ich gekleidet sey, und ließen deßhalb am nächsten Morgen einen Schneider kommen, damit mir dieser das Maß zu einem neuen Anzuge nehme. Dieser Handwerker verfuhr nach einer von der europäischen durchaus verschiedenen Weise. Er nahm zuerst meine Höhe mit einem Quadranten auf, und alsdann mit Maßstab und Compas die Dimensionen und Umrisse meines ganzen Körpers. Die Bemerkungen warf er auf's Papier. Nach sechs Tagen brachte er meine Kleider, die durchaus nicht paßten, da sich ein Fehler in die algebraische Form eingeschlichen hatte. Ich hatte jedoch Ursache mich zu trösten, denn dergleichen Vorfälle waren sehr häufig, und wurden durchaus nicht beachtet.
    Als ich nun aus Mangel an Kleidern, und dann durch eine Unpäßlichkeit noch einige Tage das Zimmer hüten mußte, vermehrte ich mein Wörterbuch um ein Bedeutendes. Als ich darauf das nächstemal wieder an Hof ging, verstand ich Vieles, was der König sagte, und konnte ihm in gewisser Art auch Antworten geben. Seine Majestät hatte Befehl gegeben, die Insel solle sich nach Nord-Ost-Ost, dem Nadir Lagado , der Hauptstadt des ganzen Königreichs, unten auf dem Festlande, hinbewegen. Diese Stadt war ungefähr neun Stunden weit entfernt, und wir gelangten dorthin, ungefähr nach fünfthalb Tagen. Ich bemerkte durchaus nichts von der fortschreitenden Bewegung, worin sich doch die Insel befand. Am zweiten Morgen gegen eilf Uhr begann der König mit dem Adel, dem Hof und den Offizieren, nachdem alle musikalischen Instrumente bereit gelegt waren, ein Concert, welches ohne Unterbrechung drei Stunden lang dauerte, so daß mich der Lärm beinahe betäubte; auch konnte ich den Zweck des Concerts nicht eher errathen, als bis mich mein Lehrer davon in Kenntniß setzte. Er sagte: die Einwohner dieser Inseln seyen an die Sphärenmusik gewohnt, die immer in bestimmten Perioden spiele; der Hof unternehme jetzt die Rolle derselben, und zwar Jeder mit dem Instrumente, worin er Virtuosität erlangt habe.
    Auf unserer Reise nach Lagado, der Hauptstadt, befahl der König, die Insel solle über mehreren Städten und Dörfern angehalten werden, damit er von dort die Bittschriften seiner Unterthanen empfangen könne. Zu dem Zweck wurden Bindfäden mit kleinem Gewicht an den Enden herabgelassen. An diese Bindfäden hing das Volk die Bittschriften, welche sogleich wie Papierschnitzel eines Drachenschwanzes von Schulknaben in die Höhe stiegen. Bisweilen auch erhielten wir von unten her Wein und Lebensmittel, welche durch Winden emporgezogen wurden.
    Meine Kenntniß der Mathematik half mir viel im Erlernen der Phrasen, welche aus dieser Wissenschaft hergeholt werden, sowie auch aus der Musik, worin ich nicht ganz unerfahren war. Die Ideen jener Leute bilden sich stets nach philosophischen Begriffen, mathematischen Linien und Figuren. Wollen sie z. B. die Schönheit einer Frau oder eines andern Thieres rühmen, so beginnen sie mit der Idee des Absolut-Schönen, und bestimmen jene alsdann näher durch Rhomboiden, Cirkel, Parallelogramme, Ellipsen und andere geometrische Begriffe, und endlich durch die Terminologie der bildenden Künste und der Musik, die ich hier wohl

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