Gun Machine
noch schlimmer, die umliegenden Büros nach Reißzwecken und Kleber zu durchwühlen. Als er das Arrangement umrundete, wurde ihm sofort klar, dass er es nicht halb so gut hingekriegt hätte. Die breite Plastikplane über den Fotos war eine geniale Idee, auf die er nie im Leben gekommen wäre.
» Was haben Sie mit der Pflanze vor? « , fragte Bat, beugte sich vor und beäugte die Blätter argwöhnisch. » Pflanzen ist nicht zu trauen. Pflanzen machen Nahrungssachen. «
» Das ist eine Tabakpflanze. Ich dachte, ich hätte im Apartment eine Art Tabak gerochen. «
Bats kritisch zusammengekniffene Augen schwenkten auf Tallow um. » Das ist Ihr Bullenvoodoo. Staaaaarkes Bullenvoodoo. «
» Tja « , meinte Tallow, » man soll die Hoffnung nie aufgeben, was? Aber das hier, das… das ist unglaublich. Vielen, vielen Dank. «
» Gern geschehen. « Scarly grinste. » Wollen Sie jetzt mit Ihrer Pflanze allein sein? «
Tallow trat in die Mitte des simulierten Wohnzimmers. » Ja, ein paar Stunden. Bis Sie die Ergebnisse vom Bulldog haben. Und dann will ich mich über Farbtöne unterhalten. «
» Wollen Sie die Wände streichen? « , fragte Bat mit betont lauter Stimme. Tallow war sich ziemlich sicher, dass er die letzten dreißig Sekunden damit verbracht hatte, der Pflanze wüste Drohungen zuzuflüstern.
» Auf manchen Waffen im Apartment war Farbe. Ich will wissen, was das für Farbe ist. «
» Das klingt ja « , sagte Scarly, » als würden Sie eine Theorie entwickeln. «
» Ich… nein. Noch nicht. Im Moment erzähle ich mir nur eine Geschichte… «
Als Tallow sich umblickte, verstummte er unwillkürlich. Er bekam nicht mit, wie Scarly und Bat sich wissend ansahen; er hörte nur Scarlys » Wir holen Sie dann ab « , während die beiden Richtung Aufzug verschwanden. Als er sich umdrehte, um sich nochmals zu bedanken, waren sie schon weg.
Tallow schritt die Rekonstruktion ein erstes Mal ab. Im Apartment hatte kein Bett gestanden, auch die Küche hatte der Täter schon lange rausgerissen. Nichts als Waffen. Als er zu Boden blickte, entdeckte er die Steinschlosspistole. Sie befand sich im Mittelpunkt eines großen Waffenwirbels. Ein Ziegenauge im Zentrum einer scharfkantigen Metallsonne.
Das CSU hatte hervorragende, raffinierte Arbeit geleistet. Alles war an seinem Platz. Als Tallow ins Wohnzimmer zurückkehrte, sah er das Ganze aus einer neuen Perspektive. Hinter der Apartmenttür war ein Viertelkreis frei von Waffen– musste er auch sein, damit sich die Tür öffnen ließ. Tallow stellte sich in den Viertelkreis. Von hier aus entdeckte er eine freie Fläche etwa in der Mitte des Raums; man konnte sie erreichen, indem man in zwei Lücken in der Waffendecke trat, jeweils groß genug für einen Fuß. Aus diesem Blickwinkel waren sie nicht zu übersehen.
Er versuchte es. Und stand kurz darauf auf der zentralen Fläche. Er hockte sich im Schneidersitz auf den Boden, direkt vor die breite Wand neben der Tür. Und so blieb er sitzen, mit den Händen im Schoß, während er auf die Wand starrte, das Fotomosaik mit den Augen abtastete und mit aller Macht versuchte, darin irgendetwas anderes zu sehen als Waffen, die ein sehr akribischer Geistesgestörter angebracht hatte, der seit zehn bis zwanzig Jahren in Manhattan mordete und jedes Mal ungestraft davonkam.
Aber er sah nichts. Noch nicht, sagte er sich und ging seinen Kaffee holen. Schade, dass es keine Möglichkeit gab, das spezielle Licht im Apartment nachzuahmen. Bei seinem ersten Besuch in der Pearl Street hatte er sich tatsächlich gefühlt wie in einer Kirche. Vielleicht sollte er eine CD mit klassisch inspirierter Hintergrundmusik auflegen. Oder herausfinden, was für eine Muzak in der Lobby von Vivicy gespielt wurde, dachte er und lächelte ein bisschen in sich hinein.
Dann setzte er sich wieder auf die virtuelle Fläche am Boden des simulierten Apartments, betrachtete die abfotografierten Mordwaffen an der Wand und versuchte zu begreifen, wo er sich eigentlich befand und was er da eigentlich sah.
Zwanzig
Beim Morgengrauen erwachte der Jäger unter einer mächtigen Zypresse am Wasser des Central Park aus einem friedlichen Schlaf. Als die rosigen Sonnenstrahlen sanft über sein Gesicht strichen, positionierte er sich im Schneidersitz und atmete in ruhigen, tiefen Zügen ein und aus, während er sich vom zunehmenden Licht erwärmen ließ. Er stand auf und löste einige Blätter von der Zypresse, zerdrückte sie in der Hand, um ihr Öl freizusetzen, und rieb es
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