Gut und richtig leben mit dem inneren Schweinehund
aussieht, reicht bei genauerer Betrachtung leider oft auch nicht weiter als bis zur eigenen Nasenspitze – denn ob die anderen die angebotene Hilfe tatsächlich wollen oder nicht, kümmert sie meist nicht weiter. Andererseits besteht in diesen Fällen auch die Gefahr, von anderen ausgenützt zu werden und sich selbst zu vernachlässigen.
In all diesen Fällen gilt: Das kurzsichtige Agieren rächt sich auf Dauer. Denn sowohl Menschen, die vor lauter Bequemlichkeit anderen |51| nicht helfen, als auch solche, die ihre Hilfe blind und überall aufdrängen, können gravierende zwischenmenschliche Probleme bekommen.
Die Nimm-was-du-kriegen-kannst-Haltung
Eine junge Werbetexterin hat sich gerade selbstständig gemacht. Da findet sie in der Fußgängerzone eine Geldbörse, gefüllt mit einem 100-Euro-Schein und einem Dutzend Quittungen für Taxifahrten. »Toll!«, triumphiert Ihr Schweinehund. »Das ist eine willkommene Starthilfe! Deine neuen Visitenkarten müssen noch bezahlt werden, und eine schöne Schreibtischlampe hast du auch noch nicht.« Also steckt die junge Frau die Geldbörse ein. »Was es wohl mit diesen Quittungen auf sich hatte?«, fragt sie sich noch lange Zeit danach. »Hätte ich die Börse doch zum Fundbüro bringen müssen? Vielleicht hat jemand das Geld für die vielen Fahrten vorgelegt und bekommt es ohne Belege nicht wieder?«
Doch immer wenn das schlechte Gewissen sich meldet, setzt der Schweinehund sein breitestes Grinsen auf und gibt folgende Sprüche zum Besten:
»Das Schicksal meint es gut mit dir!«
»Wer so sorglos mit seinem Geld umgeht, der hat es nicht besser verdient.«
»Das Gute liegt so nah – man muss es sich nur nehmen.«
»Der Ehrliche ist der Dumme!«
»Lieber unheimlich reich als ehrlich arm.«
Wer Geld findet, kann auf zweierlei Weise in ein Dilemma geraten – darauf weist Kurt Bayertz in seinem Buch Warum überhaupt moralisch sein? hin. Angenommen, er engagiert sich für ein soziales Projekt, das dringend Spenden braucht. Dann stellt sich ihm die |52| Frage: »Soll ich das gefundene Geld zum Fundbüro bringen, oder soll ich es dem Projekt zugutekommen lassen?« Er muss also zwischen zwei Optionen entscheiden, die »moralisch wertvoll« sind: einem Menschen sein Eigentum zurückgeben – oder für einen guten Zweck spenden.
Anders sieht die Sache aus, wenn der Finder einer gut bestückten Geldbörse erwägt, mit dem gefundenen Geld einen schönen Urlaub zu finanzieren. Dann muss er sich zwischen zwei Optionen entscheiden, wobei die eine der beiden (sich mit dem Geld ein schönes Leben zu machen) ganz klar unmoralisch ist.
Der Schweinehund in uns mischt sich besonders gerne ein, wenn es um ein unmoralisches Angebot geht. Er plädiert dann mit Vehemenz für ebendiese Variante. Entscheidungen zwischen zwei moralischen Optionen findet er eher langweilig und versucht deshalb oft bis zur letzten Sekunde, eine unmoralische Variante einzuschmuggeln.
Die Gewinn-Verlust-Rechnung
Cornelia E. gilt als beste Kinderärztin an der Hamburger Universitätsklinik Eppendorf. Sie behandelt schwerstkranke Kinder, gewinnt schnell das Vertrauen der oft verschreckten, kleinen Patienten. Doch Ende 2007 bricht ihre Karriere jäh ab: Sie wird wegen Betrugs, Urkundenfälschung und Körperverletzung angeklagt. Klinikleitung und Kollegen sind schockiert, ist sie laut Chefarzt doch als leidenschaftliche und »vorbehaltlos gute Medizinerin« bekannt. Was sie nicht wissen: Die Karriere von Cornelia E. basiert auf einer Lüge. Sie ist im Studium dreimal durch die ärztliche Vorprüfung, das sogenannte Physikum gefallen. Damit wäre ihr Studium eigentlich zu Ende gewesen, doch durch ein Versehen der Bürokratie kann sie weiterstudieren. Die fehlenden Prüfungsurkunden bastelt sie sich kurzerhand selbst. »Dilettantisch«, wie sie |53| selbst sagt, doch der Personalabteilung reichen die Unterlagen aus. Cornelia E. lebt in der ständigen Angst, entdeckt zu werden. Tatsächlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Hamburger Ärztekammer die Geduld verliert. Sie solle doch, schreibt die Kammer, nach drei Jahren endlich das Original ihrer ärztlichen Zulassungsurkunde vorlegen, und setzt im August die letzte Frist. Cornelia E. steht mit dem Rücken an der Wand. Was kann sie tun? Abhauen? Sich umbringen? Sie gibt sich als ihre Schwester aus und schreibt in deren Namen an die Kammer, Ärztin E. sei verstorben. Dann geht es ganz schnell: Die Ärztekammer informiert das Landesprüfungsamt, dieses
Weitere Kostenlose Bücher