Gut und richtig leben mit dem inneren Schweinehund
alarmiert die Klinik, dann wird Cornelia E. zum Uni-Direktor zitiert. Ihre Karriere ist zu Ende, ihr Ruf ruiniert, vielleicht droht ihr sogar Gefängnis. Schwestern, Ärzte und die Eltern der von ihr behandelten Kinder schreiben ihr Briefe. »Wir haben Sie als Ärztin und Mensch schätzen gelernt«, heißt es da. Eine Mutter schreibt: »Bitte machen Sie sich weiter gegen HIV und für kranke Kinder stark.« 6
Wie viel im Bewerbungsprozess getrickst wird, weiß keiner genau. In einer stichprobenartigen Studie des Düsseldorfer Detektivinstituts Kocks aus dem Jahr 2000 erwiesen sich aber 30 Prozent von 5 000 Bewerbungen als gefälscht. Geschönte Lebensläufe, gefälschte Zeugnisse und erlogene Titelangaben kamen dabei am häufigsten vor. Das alte Gebot »Du sollst nicht lügen« gilt in diesen Fällen vielen offenbar nicht mehr viel. Wichtiger scheint der Gewinn zu sein, der sich mit mehr oder weniger großem Bluff erzielen lässt – und die Schwere der Sanktion, die droht, wenn man erwischt wird.
Und sind die Anforderungen nicht ohnehin absurd? Die medizinische Vorprüfung zum Beispiel, die gespickt ist mit kniffligen Fragen und ohne Bezug zum späteren Beruf, besteht ein Fünftel der Studenten nicht. Experten wie Walter Burger, Hochschullehrer an der Berliner Charité, halten die Prüfung deshalb für ungeeignet. Sie begünstige Technokraten und schematisch denkende Menschen – |54| also gerade nicht diejenigen, für die der Arztberuf eine Herzensangelegenheit ist. »Ich war verblendet. Ich dachte, ich hole mir nur das, was mir zusteht«, zitiert die Zeitschrift Der Spiegel denn auch Cornelia E. Ihren inneren Saboteur plagten anscheinend keine großen Selbstzweifel:
»Das merkt doch keiner.«
»Die Leute wollen doch belogen werden, sonst würden sie strenger kontrollieren.«
»Wenn alle bluffen, muss ich mitziehen.«
»Der Zweck heiligt die Mittel.«
»Wer wagt, gewinnt.«
Moralisch nur scheinbar besser schneidet dabei der Schweinehund ab, der sich zwar ehrlich sozial engagiert – aber nicht, weil es ihm eine Herzensangelegenheit ist, sondern weil er sich dadurch einen Profit verspricht. Ein Beispiel dafür ist die Figur der Paris aus der Fernsehserie Gilmore Girls :
Um ihre Bewerbung an der renommierten Universität Harvard aufzubessern, braucht Paris dringend noch einen Nachweis für ihr soziales Engagement. Sie telefoniert wie besessen mit verschiedenen sozialen Einrichtungen, die aber im Moment zufällig alle keine Helfer brauchen. Schließlich schnauzt Paris wütend ins Telefon, man solle sie doch endlich einfach irgendwo hinstellen, wo sie Essen an Obdachlose verteilen könne. Paris’ Opportunismus macht ihr Engagement zur Groteske.
Der Blick auf andere
Der innere Schweinehund ist zwar grundsätzlich eher kurzsichtig. Wenn es aber darum geht, das eigene Verhalten mit dem Blick auf andere zu entschuldigen oder mögliche moralische Pflichten auf |55| andere abzuwälzen, dann wird er erstaunlicherweise plötzlich zum scharfsichtigen Beobachter.
Ulrich Wickert erklärt dieses Phänomen in seinem Buch Der Ehrliche ist der Dumme mit dem Wertewandel seit den 60er Jahren: Während die Werte Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung immer wichtiger wurden, spielten Pflicht und Fremdbestimmung eine immer kleinere Rolle. Mehr Freizeit, mehr Wohlstand, weniger Einfluss von Staat und Kirche und schließlich das Ende des ideologischen Drucks hätten privatistischen Lebensmaximen mehr Gewicht gegeben, schlussfolgert Ulrich Wickert. Das heißt: Jeder schlägt das Beste für sich heraus, und zwar ganz ohne schlechtes Gewissen. Denn wer glaubt, dass der Staat seine Mittel ungerecht verteilt, findet es nur gerecht, sich seinen Teil zurückzuholen. Und wer davon überzeugt ist, dass Spitzenmanager sich nach Gutdünken selbst bedienen, sieht keinen Grund, warum ethische Grundsätze ausgerechnet für ihn noch gelten sollen. Und so werden munter Steuern hinterzogen und Zuschüsse erschlichen. Und der Schweinehund in uns rechtfertigt diese Strategien dann mit Floskeln wie diesen:
»Andere tun das doch auch (nicht).«
»Was die da oben können, das kann ich schon lange.«
»Ich bin doch nicht blöd.«
»Was alle machen, kann so falsch nicht sein.«
»Lieber das Gewissen verrenken, als dem Staat etwas schenken.«
Ganz klar sieht der Schweinehund auch, wer sich (statt seines eigenen Herrchens) hervorragend dazu eignet, Verantwortung oder Aufgaben zu übernehmen. Beispiele gibt es viele: Die Gemeinde
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