Gut und richtig leben mit dem inneren Schweinehund
inneren Schweinehundes kennen gelernt. Vielleicht kamen Ihnen ein paar davon sehr bekannt vor – vielleicht hat Ihr persönlicher Schweinehund auch noch einige weitere Tricks auf Lager, die Sie nun ohne weiteres durchschauen.
Damit Sie nicht nur wissen, wie Ihr individueller Begleiter arbeitet, sondern auch, wo er Ihnen auflauert, nehmen wir nun die einzelnen Tugenden in den Blick: Zuerst die Kardinaltugenden, dann die Sekundärtugenden und schließlich weitere Tugenden wie Integrität oder Hilfsbereitschaft, mit denen der Schweinehund ganz besonders auf Kriegsfuß steht. Dabei sind diese verschiedenen Gruppierungen keineswegs im Sinne einer Hierarchie beziehungsweise eines Über-/Unterordnungsverhältnisses zu verstehen. Vielmehr hat diese Einteilung kulturgeschichtliche Gründe. Es soll jeweils darum gehen, wie eine Tugend zu verstehen ist, welchen Nutzen sie im Leben bringen kann und natürlich auch, warum der innere Schweinehund des Menschen damit Probleme hat. Außerdem werden Sie immer wieder die Gelegenheit bekommen, anhand von gezielten Fragen Ihr Verhältnis zur jeweiligen Tugend zu erforschen. Viel Spaß dabei und vor allem gute Erkenntnisse für Sie … und natürlich auch für Ihren Schweinehund.
|63| Keine Chance den Kardinaltugenden
Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Mäßigung – diese Tugenden gelten als die vier Kardinaltugenden . Es handelt sich dabei um sehr altes Gedankengut: Die Idee entwickelte sich aus der griechischen, wanderte weiter zur römischen und schließlich zur christlichen Ethik.
Der Begriff Kardinaltugend leitet sich ab vom lateinischen Wort cardo (= »Türangel«). »Kardinaltugenden sind also Dreh- und Angelpunkte menschlicher Existenz«, schreibt Jesuitenpater Brantschen. »Oder anders gesagt: Die vier grundlegenden Tugenden sind die Angeln des Tors zu einem erfüllten Leben für andere und für sich selbst.«
Die Kardinaltugenden sind – davon sind die meisten Philosophen überzeugt – nicht einzeln zu haben: Die Klugheit etwa gilt als »Lenkerin« der Tugenden – denn ohne Klugheit kann man weder gerecht noch tapfer oder maßvoll leben. Die Gerechtigkeit wiederum ist die Grundlage aller Tugenden – denn auch ein Schuft kann durchaus schlau, durchhaltestark und selbstbeherrscht sein.
|64| Klugheit
Wie die Medizin die Kunst ist,
die Gesundheit zu erhalten,
das Steuern die Kunst,
ein Schiff zu lenken,
so ist die Klugheit die Kunst zu leben.
Karneades
Keine Tugend ist ohne Klugheit denkbar: Wer tapfer ist, aber nicht klug, der ist ein Haudegen. Wer gerecht ist, aber nicht klug, ist ein Prinzipienreiter. Und wer ohne Klugheit maßhält, ist vielleicht einfach zwanghaft. »Ohne die Klugheit könnten die anderen Tugenden mit ihren guten Absichten bloß den Weg zur Hölle pflastern«, bringt der Philosoph Comte-Sponville den Zusammenhang auf den Punkt.
Umgekehrt nutzt Ihnen die Klugheit ohne die anderen Tugenden nichts. Allein ist sie wie ein Werkzeug, das ungenutzt in der Ecke steht. Sie ist Tatendrang, kann aber nichts tun. Kommt die Klugheit ins Spiel, dann sind Sie fähig, hier und jetzt richtig zu handeln. Also: gerecht zu sein, zuverlässig zu sein, nicht über die Stränge zu schlagen, Hilfe zu leisten. Und zwar mit dem richtigen Maß. Das ist manchmal gar nicht so einfach:
Renate pflegt Ihre über 90-jährige Mutter. Sie möchte der schwer kranken und gebrechlichen Frau das Leben so angenehm wie möglich machen und nimmt deshalb alle nur erdenklichen Mühen und Kosten auf sich. Als die alte Dame nicht mehr spricht und ihre Umwelt kaum mehr wahrnimmt, bestellt Renate einen Minibus mit behindertengerechter Einrichtung. Damit möchte sie ihre Mutter spazieren fahren, um ihr auf diesem Weg noch eine Freude zu bereiten. Mit Mühe verlädt Renate den Rollstuhl in das neue Auto. Doch die Mutter zeigt – außer einem leicht gequälten Gesichtsausdruck – keine Regung. Dreimal unternimmt Renate eine Spazierfahrt, dann lässt sie den Wagen in der Garage stehen.
|65| Möglicherweise war Renate zu Beginn eher einem unklugen Aktionismus verfallen, der letztlich auch für Ihre Mutter nicht hilfreich war, statt sich von ihrer Weisheit lenken zu lassen, denn Hilfsbereitschaft ohne Klugheit verfehlt oft ihr Ziel.
Sie brauchen also beides: Tugenden und Klugheit. Wenn dann Courage gefragt ist, werden Sie weder feige noch hitzköpfig handeln. Geht es um Fleiß, erledigen Sie Ihre Arbeit gewissenhaft, ohne einerseits den Eifer nur vorzutäuschen und ohne andererseits
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