Gut und richtig leben mit dem inneren Schweinehund
Immanuel Kant kennen, dann liefe ihm ein Gruselschauer den borstigen Rücken hinunter.
Für Kant steht die Pflicht über allem. Er spricht von der Pflicht als einem Joch und ruft (Achtung, jetzt wird es pathetisch): »Pflicht! du erhabener, großer Name … welches ist der deiner würdige Ursprung, und wo findet man die Wurzel deiner edlen Abkunft, welche alle Verwandtschaft mit Neigungen stolz ausschlägt?« »Mit Neigungen bin wohl ich gemeint«, beschwert sich Ihr Schweinehund und schnauzt Richtung Pflichtgefühl: »Na warte, dich kriege ich auch noch klein!« Man kann es nur hoffen. Denn ein Leben, das sich nur auf Pflicht gründet, hat keinen Platz für Spontaneität, Lebensfreude und Glücksgefühle. Es ist geradezu menschenfeindlich.
Andererseits: Ganz ohne Disziplin wird keine Arbeit fertig, wird kein sportliches Match gewonnen, wird keine Prüfung geschafft und keine Sonate souverän gespielt. Ohne Pflichtgefühl gibt es in keiner Familie Zusammenhalt und in den Unternehmen keine Loyalität. Es kommt auch hier auf das richtige Maß an. Wenn das |93| stimmt, könnte sogar der Schweinehund ein Einsehen zeigen. Doch das disziplinierte Durchhalten wird ihm weiterhin schwerfallen.
Er mault und mosert:
»Warum werde ausgerechnet ich in die Pflicht genommen?«
»Ich habe Wichtigeres zu tun.«
»Ich bin ein freier Mensch.«
»Disziplin ist einfach nicht mein Ding.«
»Ich folge meiner Intuition.«
Fragen an Sie und Ihren Schweinehund:
In welchen Lebensbereichen will Ihr Schweinehund mit Disziplin und Pflichtbewusstsein nichts zu tun haben? Warum steht er gerade hier mit diesen Tugenden auf dem Kriegsfuß?
Wo hat er dagegen keinerlei Probleme, Sie diszipliniert und pflichtbewusst handeln zu lassen? Warum exakt in diesen Fällen?
Was müssen Sie tun, damit Ihr Schweinehund Sie auch in den sonstigen Fällen diszipliniert und pflichtbewusst handeln lässt?
»Im Trüben fischt es sich besonders gut.«
|95| Weitere Tugenden, die der Schweinehund kassiert
Mit Kardinaltugenden und Sekundärtugenden gibt sich der innere Schweinehund längst nicht zufrieden. Sein Appetit ist riesig, er verlangt nach mehr. Zu seinem Glück ist die Liste der Tugenden lang. Gewappnet mit seinen liebsten Lastern – der Faulheit, Feigheit und Selbstverliebtheit – stört er Sie gezielt, sobald Sie gut und richtig handeln wollen. So torpediert er jeden Anflug von Hilfsbereitschaft, er untergräbt Ihre Integrität, verführt Sie zu Unehrlichkeit, zu Undankbarkeit und dazu, dass Sie sich selbst viel zu ernst nehmen. Die Liste ließe sich verlängern. Da es sich aber bei fast jeder dieser Eigenschaften um eine Variante oder Verwandte der primären und sekundären Tugenden handelt, mag an dieser Stelle eine Auswahl besonders schweinehundanfälliger Beispiele ausreichen.
Hilfsbereitschaft
Glaub mir, es ist eine königliche Handlung
Gefallenen zu helfen.
Ovid
Warum helfen Menschen? Weil sie in der Lage sind, mit anderen Menschen mitzufühlen. Sie fühlen die Not, den Schmerz oder die Trauer und beschließen spontan, die Ärmel hochzukrempeln, um die Not zu wenden. Hilfsbereitschaft ist individuell und spontan, Basis sind meist Gefühle, allen voran Liebe, Nächstenliebe und |96| Großherzigkeit. Basis kann aber auch ein starker Sinn für Gerechtigkeit sein oder ein starkes Pflichtgefühl. Man muss also nicht unbedingt mitleiden, um mithelfen zu wollen.
Doch Mitleid ist eine ebenfalls nicht zu unterschätzende Triebfeder. Für einige Philosophen ist Mitleid sogar die Mutter aller anderen Tugenden, das, was uns von der Barbarei trennt, und also das, was den Menschen zum Menschen macht. »Denn wer weder durch Vernunft noch durch Mitleid bewegt wird, anderen Hilfe zu leisten, den nennt man mit Recht einen Unmenschen, da er einem Menschen unähnlich zu sein scheint«, sagt Spinoza.
Die Tugend der Hilfsbereitschaft kann sich erst dann richtig entfalten, wenn sie sich mit den Kardinaltugenden verbündet. Entscheidend ist freilich das richtige Maß: Mitleid, Hilfsbereitschaft, Wohlwollen sind wichtige Tugenden, aber bei keiner von ihnen geht es darum, sich selbst zu schädigen. Das wäre auch kontraproduktiv, denn nur der kann helfen, der mit seiner Kraft haushaltet. In Kooperation mit dem Mut kann Hilfsbereitschaft zur Heldenhaftigkeit wachsen; fehlt ihr der Mut, richtet sie unter Umständen nur wenig aus. Und im Verbund mit Gerechtigkeit erreicht die Hilfsbereitschaft möglicherweise etwas Erhabenes – denken Sie nur an Sankt Martin,
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