Gut und richtig leben mit dem inneren Schweinehund
der seinen Mantel mit einem Frierenden teilt.
Hilfsbereitschaft braucht unbedingt auch ein gutes Maß an Klugheit, und zwar nicht nur im Sinne von Intelligenz, sondern auch von Informiertheit. Das zeigt das folgende Beispiel – wieder eine Leserfrage an Rainer Erlinger, hier verkürzt wiedergegeben. Der Fall ist alles andere als alltäglich, zeigt aber, wie sehr es bei Hilfeleistungen auf umsichtiges Handeln ankommt und darauf, die jeweiligen Hintergründe zu kennen.
Eine Touristin wird von großzügigen Sudanesen eingeladen, die nicht erlauben, dass sie in einem Hotel wohnt. Um sich erkenntlich zu zeigen, kauft die Touristin mit dem eingesparten Urlaubsgeld einen jungen Sudanesen aus dem Gefängnis in Khartoum frei, der |97| wegen eines Tötungsdelikts zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Nach islamischem Recht ist es möglich, Inhaftierte mit einem Lösungsgeld für die Familie des Opfers freizukaufen. Ob es auch richtig ist, darüber gerät die Touristin nach Ihrer Hilfsaktion ins Grübeln. Was, wenn der junge Mann wieder jemanden umbringt?
Dass die Touristin einen Gefangenen freikauft, ist nach der dortigen Rechtslage »ordnungsgemäß«, bestätigt Erlinger. Problematisch ist allerdings, dass sie nicht im Sinne der Tradition handelte. Diese sieht vor, so Erlinger, dass das »Blutgeld« von den männlichen Verwandten des Täters aufgebracht wird. Der Freikauf erfolgt also traditionell in festen Familienstrukturen, was den Täter an weiteren Verbrechen hindern soll. Genau dieser soziale Kontrolleffekt fällt aber weg, wenn eine Unbeteiligte das Lösungsgeld zahlt, die außerhalb der Familie und außerhalb des dortigen Wertesystems steht. »Ihr Handeln war sicher auch gut gemeint«, antwortet Erlinger denn auch der Leserin, »an seinen Ergebnissen gemessen jedoch bedenklich.« Tatsächlich ist gut gemeint oft sogar das Gegenteil von gut gemacht .
Emotionale Korrektheit
Hilfsbereitschaft wird in Zeiten medialer Vernetzung weniger daran bemessen, wie viele Menschen wirklich vor Ort »die Ärmel hochkrempeln« und etwas Konkretes tun, sondern eher daran, wie viele Menschen ihre Geldbörsen öffnen. Großes Erstaunen weckte die enorme Spendenbereitschaft nach dem Tsunami in Ostasien. Wie kam es dazu? Zum einen, mutmaßten die Experten, kannten viele Menschen die betroffenen Regionen von eigenen Urlauben. Zum anderen waren nicht nur Einheimische von der Katastrophe betroffen, sondern auch eigene Verwandte und Freunde, die gerade vor Ort waren. Dazu kommt die Tendenz, dass Medien heute Nachrichten immer stärker emotionalisieren: durch dramatische |98| Nahaufnahmen etwa, unterlegt mit aufwühlenden Klängen, und durch die geschickte Inszenierung von Einzelschicksalen. Das geht unter die Haut, holt den Menschen aus seiner Ich-Zentriertheit heraus und führt zu dem Wunsch, die hübsche Summe auf dem eigenen Girokonto mit anderen, Hilfsbedürftigen, zu teilen.
Andere Deutungen sind eher unfreundlich: Es handle sich bei der Spendenfreudigkeit um nichts weiter als »emotionale Korrektheit«, die sich unter dem heutigen »Dogma des Mitfühlens« (so eine Formulierung des in England lehrenden Soziologen Frank Furedi) herausgebildet habe. Wer spendet, tut dies, weil man es heute eben tut.
»Die Spenden haben für mich etwas von einer emotionalen Ablasszahlung an sich«, spitzt Peter Winterhoff-Spurk zu, Professor für Psychologie und Leiter der Arbeitseinheit für Medien- und Organisationspsychologie an der Universität des Saarlandes, in einem Focus- Interview. 7 Man kauft sich frei, muss sich aber nicht selbst die Hände schmutzig machen.
Steuern sparen
Noch profaner ist möglicherweise die Motivation der Stiftungsgründer, denen es darum zu gehen scheint, die Macht im eigenen Unternehmen zu sichern oder, ganz schlicht, Steuern zu sparen. In Deutschland gibt es rund 14 000 Stiftungen, von denen fast die Hälfte in den vergangenen zehn Jahren entstanden sind. 8 »Für mich sind Stiftungen die legalisierte Steuerhinterziehung«, sagte Lutz Helmig in einem Interview der Zeitung Welt am Sonntag . Er hat sein Klinikunternehmen »Helios« für 1,5 Milliarden Euro verkauft, will aber sein Geld in keine Stiftung fließen lassen. »Das ist nichts für mich«, so Helmig. »Ich finde, man sollte sein Geld am besten in die Schaffung von Arbeitsplätzen investieren.« 9
Andere, viel wohlhabendere Menschen sehen das anders: Bill Gates, Gründer der Firma Microsoft und reichster Mann der Welt, hat eine
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