gute freunde - boese freunde
FreundInnen von einem Problem, sie erzählen es ihren FreundInnen, und irgendwann wissen es viele Menschen. |64| Und vielleicht kann irgendwer mein Problem lösen. Das Internet erweitert diese Möglichkeiten ungemein. Das kann positive und negative Folgen haben. Mathilda hat sich diese Strategie zunutze gemacht und tatsächlich über einen Freund einen neuen Job gefunden.
In einem Forum habe ich Cynthia kennengelernt. Wir haben uns noch nie »real« gesehen, aber wir schreiben uns regelmäßig (per Mail, manchmal auch ganz altmodisch per Brief). Und zum Geburtstag gibt es manchmal sogar ein Paket mit Geschenken, die meine offline-Freunde kaum besser aussuchen könnten. Und doch zögere ich, wenn es um das Wort »Freundschaft« geht. Warum? Ist es wirklich so wichtig, die Person »anfassen« zu können? Allein um das Vertrauen kann es nicht gehen, da wir voneinander Dinge wissen, die wir sonst kaum mit anderen teilen. Ich weiß auch sicher, dass diese Person real ist. Und ich würde sie auch gerne mal »live« sehen. Und wie in den meisten anderen Freundschaften auch, ist nicht immer alles rosig zwischen uns, schließlich kann man sich auch beim Schreiben vorzüglich missverstehen. Warum nenne ich sie also nicht einfach Freundin?
Vielleicht hat es etwas mit Verlässlichkeit zu tun. Bei meinen direkt greifbaren Freundinnen und Freunden erfahre ich schneller und häufiger, ob sie für mich da sind, wenn es sprichwörtlich brennt. Besuchen sie mich im Krankenhaus, wenn meine Mandeln rausmüssen? Kochen sie für mich und umsorgen sie mich, wenn ich aufgrund meines Liebeskummers verlernt habe, für mich selbst zu sorgen? Kann ich bei ihnen übernachten, wenn es zu Hause wieder Knatsch gibt? Solange sie in meiner Nähe leben, ja, natürlich. Die Freunde und Freundinnen, die in andere Städte oder Länder gezogen sind, können mir hingegen auch nicht direkt helfen, sondern mich nur telefonisch oder per |65| E-Mail unterstützen und trösten. Bei ihnen baue ich allerdings auf die Erinnerung an gemeinsame Zeiten, ich weiß, dass sie für mich da waren, wenn ich sie brauchte. Dies kann ich bei Cynthia − bislang zumindest − nicht. Mit ihr kann ich lange E-Mails austauschen und mich über die Mandeln, den Exfreund oder die Eltern auslassen, vielleicht versteht sie mich sogar besser als jemand in meiner direkten Umgebung. Doch aufgrund ihrer plastischen Entfernung kann sie mir nur virtuell nah sein – und bleibt dadurch in gewissem Sinne immer außen vor.
Was eine Freundschaft ausmacht:
Versuche einer Definition
Freundschaft funktioniert nicht einseitig. SoziologInnen sprechen hierbei von Reziprozität. Dieser Begriff beschreibt das Prinzip der Gegenseitigkeit, das heißt also, dass von Freundschaft nur gesprochen werden kann, wenn beide Seiten etwas geben und bekommen. Das muss nicht unbedingt in derselben Maßeinheit berechnet werden (ich mache die Matheaufgaben für Dich, also machst Du Englisch für mich), doch sollte der Austausch gleichwertig sein. Was gleichwertig ist, ist natürlich Verhandlungssache und von Person zu Person unterschiedlich. Wenn es Dir also leichter fällt, Deinem Freund in Geometrie zu helfen, er aber in Spanisch eine Niete ist, wäre es sinnlos, von ihm zu verlangen, er solle mit Dir Grammatik pauken. Hingegen ist er möglicherweise sehr musikinteressiert, hat immer die neuesten Songs für Dich parat oder kann Dir sogar die Gitarrenriffs raushören und notieren, sodass Du Dein Lieblingslied selbst nachspielen kannst? Dann ist das sicherlich gleichwertig, wenngleich etwas völlig anderes.
Allgemein lässt sich sagen: Eine Freundschaft ist so vielseitig wie ihre Beteiligten. So unterschiedlich die Menschen, so unterschiedlich |66| die Freundschaften. Und so unterschiedlich die Definitionen, was nun eine Freundschaft ausmacht.
Gemeinhin gelten als die wichtigsten Merkmale:
Gleichheit der Beteiligten (es gibt keine Hierarchie zwischen den FreundInnen)
Ähnlichkeit zwischen den FreundInnen
Gegenseitigkeit (Reziprozität, beide nehmen und geben)
Freiheit und Freiwilligkeit (niemand kann dazu gezwungen werden)
keine offene Sexualität (also eine platonische Freundschaft, wobei es natürlich auch Freundschaften zwischen SexualpartnerInnen geben kann)
Unterstützung, Hilfe, Solidarität
Loyalität, Verlässlichkeit
Vertrauen
Offenheit, Ehrlichkeit
Vergnügen (die Freundschaft soll schließlich auch Spaß machen)
Verständnis für und Akzeptanz des/der anderen
freie Gestaltbarkeit (es gibt keine
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