Gute Leute: Roman (German Edition)
fast zu Hause«, erwiderte Thomas. »Ein langer Arbeitstag …«
»Ein langer Arbeitstag«, wiederholte Hermann. »In der Tat, wie geht es denn mit der amerikanischen Firma so voran?«
»Die Niederlassung in Berlin befindet sich in amerikanisch-deutschem Besitz«, gab Thomas behutsam zurück. »Wir beschäftigen nur Deutsche.«
»Nur Deutsche!«, posaunte Hermann. »Deine amerikanischen Freunde haben ihre korrupte Demokratie hierher verpflanzt und nehmen Deutschland schamlos aus.« Jetzt sprach er mehr zu seinen Kameraden als zu Thomas. »Ein Glück, dass der Führer einige Dinge in diesem Land verändert hat, noch nicht genug, wohl wahr, aber es gibt Fortschritte. Meinst du nicht?«
»Der Führer leistet vorzügliche Arbeit, niemand wird bestreiten, dass seine Leistungen einen kolossalen Erfolg bedeuten«, sagte Thomas und spürte ein Zittern im rechten Bein.
»Interessant, wie wohl dein Herr Vater dies aufgenommen hätte«, sagte Hermann und richtete seine Krawatte mit affektierter Bewegung. »Während sich das ganze Volk dem Aufbau eines neuen Deutschland weiht, säckelt sein Herr Sohn Dollars von amerikanischen Kapitalisten ein.«
»Die Wahrheit ist, dass mein Vater, zwei Jahre nachdem ich bei der Milton-Group angefangen hatte, verstorben ist«, erwiderte Thomas.
»Ihr Jungspunde werdet das sicher nicht wissen«, wandte sich Hermann an seine Kameraden, die vor sich hin stierten. »Aber in den zwanziger Jahren war der Herr Vater unseres Herrn Heiselberg hier ein rühriges und couragiertes Mitglied der nationalsozialistischen Partei.«
»Genau genommen bis zu seinem Tode …«, betonte Thomas.
»Genau genommen bis zu seinem Tode …«, wiederholte Hermann. »Und wenn wir schon beim Tod sind: Du hast sicher von dem abscheulichen Mord an dem armen vom Rath gehört.« Die leicht wulstige Oberlippe verlieh, in Begleitung des Lächelns, das sich bis zu den Wangen zog, seinem Gesicht einen Ausdruck kindlicher Unbekümmertheit. Seine Haut war jugendlich straff geblieben und spottete den Jahren, die ins Land gegangen waren, und jener dunkle Teint, in dem die Jungen zu Schulzeiten »etwas Amerikanisches« zu erkennen gemeint hatten, glänzte noch immer. Das vertraute Lächeln nahm Thomas etwas von seiner Angst.
»Wir alle haben mit Bestürzung die traurige Nachricht gehört«, sagte er und nickte abermals dem Wachtmeister zu. Höfgen wich zurück und kam hinter einen der jungen Burschen zu stehen.
»Die feige Judensau hat es nicht gewagt, den Botschafter selbst umzulegen«, feixte Hermann, »also hat er sich mit einem unglückseligen kleinen Botschaftssekretär begnügt. Nur gut, dass er den Hausmeister nicht auch noch erschossen hat.«
»Solche Mörder sind meist Feiglinge«, erwiderte Thomas ernst. »Kreaturen, die immer von einer Heldentat geträumt haben, Menschen mit einem narzisstischen Verlangen nach der Bewunderung der Masse, die sie recht eigentlich verachten. Etwas Heldenhaftes haben sie nicht an sich.«
»Ja, das gefällt mir: Kreaturen mit einem Verlangen nach Heldentum ohne Heldenmut«, stimmte Hermann zu. »Du verstehst gewiss den Grund unseres Interesses an den letzten Ereignissen. Dies ist eine schwere Nacht für das deutsche Volk, und wir sind dazu da, für Ordnung auf den Straßen zu sorgen. Hättest du je geglaubt, dass so ein jüdischer Strolch auch den Höfgen verletzen würde, unseren wackeren Bezirkswachtmeister?«
Weitere Bilder aus ihren gemeinsamen Tagen kamen Thomas in Erinnerung: In seiner Jugend hatte Hermann unter seiner Unfähigkeit gelitten, seine Tugenden ins rechte Licht zu rücken, und wähnte ab einem bestimmten Zeitpunkt in Thomas einen schlangenhaften Verführer, der ihn auf die Abwege der Sünde lockte. Hatte er abfällige Bemerkungen über Hermann gemacht, die ihm zu Ohren gekommen sein könnten? Unwahrscheinlich. Er ließ sich nur selten negativ über Menschen aus. Tratsch war eine idiotische Schwäche.
»Ein schönes Gebäude, nicht?« Hermann wies auf das Haus, in dem Erika Gelbers Praxis lag. »Bist du dort noch regelmäßig zu Besuch?«
»In den letzten zwei Jahren eher weniger, im Büro wartet viel Arbeit.« Er sah ihm unverwandt in die Augen, hatte nicht die Absicht zu zeigen, dass der andere ihn überrascht hatte.
»Und deine Freundin, die jüdische Psychiaterin, hilft sie dir?«, fragte Hermann.
»In den letzten zwei Jahren eher weniger«, wiederholte Thomas lakonisch und fragte sich insgeheim, ob es nicht an der Zeit sei, Hermann zu erzählen, dass
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