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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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Besuch in Moskau überflüssige Aufmerksamkeit auf die Existenz eines Menschen, weshalb der Institutsleiter es vorzog, seine Mitarbeiter zu entsenden und zu hoffen, dass sie, wenn sie nach ihm befragt würden, die richtigen Antworten zu geben wüssten.
    Ihr Vater hatte selbstverständlich nicht gewagt, sich zu weigern, hatte sich aber, kaum war er nach Hause gekommen, ins Bett gelegt. Am nächsten Morgen hatte Valeria sich ins Büro des Institutsleiters bemüht und ihm erklärt, ihr Andrjuscha werde in einer ihm unbekannten Umgebung regelmäßig von Albträumen heimgesucht und neige dazu, im Schlaf Unsinn von sich zu geben, den ein Fremder falsch deuten könnte. Tags darauf verkündete der Institutsdirektor, Weißberg fahre nicht nach Moskau.
    Ihre Mutter saß jetzt neben ihm und zog seine Hand um ihre schmale Hüfte. Sie überragte ihren Gatten, ihr Kinn schien auf ihrem langen Hals zu schweben, und ihre Ausstrahlung kündete von Stolz und kühler Sachlichkeit. Sie wollte allen deutlich machen, dass sie sich in solchen Zeiten nicht mit kleinlichen persönlichen Rechnungen aufzuhalten gedachte, da sie den Launen ihres Gatten ohnehin wenig Gewicht beimaß.
    Sascha empfand Verachtung für sie. Nur ein Mensch, der unrettbar im Labyrinth seiner Illusionen verloren war, konnte denken, dass auch nur einer von den Gästen dieser Vorstellung Glauben schenken würde. Zwar hatte, anders als Sascha, keiner von ihnen Valeria je auf ihrem Bett sitzen sehen, scheinbar in die Handlung eines Buches vertieft, in Wahrheit aber auf die Rückkehr ihres Gatten wartend.
    Ein leises Klopfen an der Tür.
    Brodski beugte das Gesicht tiefer über seinen Teller, Emma Fjodorowna drückte ihre Zigarette im Aschenbecher aus, rührte in den Stummeln, und Varlamow legte den Kopf auf die Rückenlehne des Sofas. Wie leicht sie in Panik geraten, dachte Sascha, ein so dezentes Klopfen klang nicht gefährlich.
    Ihre Mutter eilte zur Tür. »Ossip Borisowitsch«, war ihre Stimme erfreut aus dem Flur zu vernehmen. »Wie gut, dich zu sehen.«
    »Meine Frau ist krank«, dröhnte Lewajew. »Ich bin nur auf einen Sprung vorbeigekommen.«
    In der Zwischenzeit hatten im Salon die Gäste ihr Geplauder wieder aufgenommen.
    »Sonderbar, diese Verhaftung von Nadja, sehr sonderbar. Wenn sie an ungebührlichen Angelegenheiten beteiligt gewesen wäre …«, wiederholte Varlamow Wort für Wort seine Litanei vom letzten Treffen. Ob das Alter sein Erinnerungsvermögen durcheinander gebracht hatte, fragte sich Sascha, oder ob er sich sehr wohl an alles erinnerte und nichts anderes sagen wollte?
    »Wenn sie Nadka verhaftet haben, dann sicher mit gutem Grund«, murmelte der Literaturkritiker Brodski, in dessen rötlichem Bart Eigelbkrümel hingen. Er schnitt sein zweites hartgekochtes Ei in dünne Scheiben und ordnete sie penibel auf seinem Teller an. Nadja hatte ihr einmal gesagt, es genüge sich anzuschauen, wie Brodski sich mit einem Ei beschäftige, um zu erkennen, dass er noch nie mit einer Frau geschlafen habe.
    Ihre Mutter hakte sich bei dem jungen Lewajew unter, der wie immer höchst korrekt gekleidet war und frisch und stattlich wirkte, und ließ ihn neben sich Platz nehmen. Emma Fjodorowna zündete sich die nächste Zigarette an, blies ihm den Rauch in sein hübsches Gesicht und machte sich sogleich über seine neue Frisur lustig: hinten raspelkurz, vorn in einer schwarzen Tolle endend. »Ossip Borisowitsch, ist das eine Hommage an deine Kindheit in der Ukraine, dieses Etwas auf deinem Kopf?«
    Der Dichter Varlamow verbarg das Gesicht hinter seiner Teetasse. Schon war er bereit, seine Standardrede vom Stapel zu lassen, die erklären sollte, warum ein Vorstelligwerden seinerseits bei hochgestellten Genossen Nadjeschda Petrowna nicht im geringsten helfen würde. Denn wenn man Leute wie Radek und Pjatakow, Rykow und Jeshow, Greniko und Petrowski verhaftet hatte, von Bucharin und Sinowjew gar nicht zu sprechen – warum sollten sich seine Freunde dann für eine namenlose Dichterin einsetzen? Sein »Namensgebet« stimmte Varlamow jedes Mal an, wenn er erwartete, im nächsten Augenblick aufgefordert zu werden, einem Verhafteten zu helfen. »Der Mann ist ein Genie, nach dem letzten ›Namensgebet‹ – immerhin siebenundzwanzig Minuten, schließlich muss der Alte doch sein Gedächtnis befragen – wird keiner mehr wagen, seine Hilfe zu erbitten«, spottete man über ihn.
    Emma stützte ihren Ellbogen auf den schwarzen Deckel des Klaviers. Unter allen Dichtern und

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