Gute Leute: Roman (German Edition)
von der Art, wie man es in jedem Eisenbahnwaggon zu sehen bekam, aus dem jetzt ein tumber Ausdruck des Triumphes strahlte.
Er überquerte die Wichmannstraße und blickte hinauf zum Haus Nr. 10, in dem bis vor wenigen Jahren das Berliner Psychoanalytische Institut seinen Sitz gehabt hatte, und im zweiten Stock die Klinik von Erika Gelber. Wo mochte sie jetzt sein? Das war keine Nacht, um in der Stadt herumzulaufen. Für einen Moment machte er sich Sorgen um sie. In einer solchen Nacht konnte mehr als nur ein bisschen Glas zu Bruch gehen. Andererseits würden sie Frauen vermutlich nichts tun, noch dazu einer geachteten Psychoanalytikerin wie Erika, die hochgestellte Persönlichkeiten der Reichswehr als Patienten gehabt hatte – gar nicht zu sprechen von ihren Erfolgen bei der Behandlung von Soldaten, die unter Kriegstraumata litten. Wohl oder übel hatten selbst die Militärs einräumen müssen, dass in solchen Fällen die Psychoanalyse eine Rehabilitationsquote erreichte, wie sie keine andere Behandlungsmethode vorweisen konnte. Kurzum, Erika würde auf seine Hilfe wohl nicht angewiesen sein.
Ein junges Pärchen ging Arm in Arm neben ihm her. Das Mädchen sprach über eine Synagoge, die völlig niedergebrannt sei, und über Feuerwehrleute, die dorthin geeilt waren, aber von der Menge vertrieben worden seien. Thomas schaute erneut zum Himmel. Der war inzwischen von schwarzen Rauchwolken verhangen.
Aus der nächsten Nebenstraße hörte er Schreie. Eine Gruppe von Männern näherte sich, die meisten von ihnen in SS-Uniform. Die Gleichförmigkeit ihrer Bewegungen hatte etwas Beängstigendes an sich. Wie ein Rudel Wölfe kamen sie ihm vor. Er unterdrückte die Panik, die von seinem Körper Besitz zu ergreifen drohte. Bog er jetzt ab, machte er sich verdächtig. Also schritt er ihnen entgegen und erkannte alsbald das sonnengebräunte Gesicht Hermann Kritzingers.
Thomas vernahm seinen eigenen Herzschlag. Die Entfernung zwischen ihnen betrug nur noch wenige Meter, und er hoffte, dass Hermann auch diesmal seine Existenz mit Missachtung strafen würde. Doch Hermann blickte ihm unverwandt ins Gesicht. Mehr als fünfzehn Jahre waren vergangen, seit sie einander zum letzten Mal in die Augen geschaut hatten. Hinter Hermann hielt sich der junge Bezirkswachtmeister Höfgen, die Wange von zwei tiefen Schnitten entstellt, die sich beinahe bis zu seinen Lippen zogen. Thomas kannte ihn seit Jahren. Es war das erste Mal, dass er ihn ohne Brille, dafür aber in SS-Uniform sah.
Mit einem Kopfnicken grüßte er. Höfgen wich Thomas’ Blick aus und schaute zu Boden. Im Gegensatz zu seinen Kameraden hatte sich Hermann in Schale geworfen: weißes Hemd mit bunter, gestreifter Krawatte. Seine schwarzen Schuhe glänzten. Thomas erinnerte sich, wie am ersten Schultag in der vierten Klasse Hermann in besonders adrettem Aufzug erschienen war und alle getuschelt hatten. Hermann hatte sich damals auf seinem Stuhl niedergelassen und vorsichtig die neuen Spielsachen aus seinem Ranzen geholt, die aus New York stammten und nun die begehrlichen Blicke aller Jungen auf sich zogen.
Kurz nach dem Ende seiner Schulausbildung war Hermann zur SA gestoßen. Sein Aufstieg in der Organisation hatte Anfang der dreißiger Jahre begonnen, als er die Gunst von Ernst Röhm gewonnen hatte, einem frühen Kampfgefährten Hitlers, der zwei Jahre in Bolivien verbracht hatte und als Stabschef der SA nach Deutschland zurückgekehrt war. Der junge Hermann diente ihm ergeben. Er lief in Uniform durch die Straßen und verbrachte seine Zeit zumeist in Destillen, deren Inhaber zu den Anhängern der Organisation zählten. Thomas erinnerte sich, wie er Hermann eines Nachts, Ende Januar 1933, begegnet war. Auf seinem Gesicht lag Triumph, als suchte er nach Menschen aus der Vergangenheit, die an ihm gezweifelt hatten und deren erstaunten Augen er jetzt einen neuen Menschen präsentieren würde.
1934 dann hatte es Gerüchte gegeben, Hermann sei in jener Nacht, in der sie Röhm verhaftet hatten, ebenfalls in Bad Wiessee gewesen. Auch mehrere Wochen danach hatte ihn niemand gesehen, und es schien klar, dass er zusammen mit Röhm und den anderen SA-Männern liquidiert worden war. Aber dann war er plötzlich wieder aufgetaucht, und nicht nur das, auf Intervention von Himmlers Ministerium hatte man ihn sogar mit einem Posten und einem SS-Dienstgrad bedacht.
»Der Herr Heiselberg, ein bisschen spät dran heute, nicht wahr?«, wandte sich Hermann gönnerhaft an ihn.
»Bin schon
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