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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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Verehrtester, aber ich fürchte, dass es für Sie als Amerikaner nicht so leicht ist, den deutschen Menschen zu verstehen. Haben Sie schon einmal Ernst Jünger gelesen? Gewiss nicht. Ein enger Freund meiner Familie. Und kennen Sie Pauly? Die Sehnsucht nach hellem Schein ist tief in unserer Seele angelegt. Kennen Sie das Attribut ›völkisch‹? Das ist im Grunde genommen eine Definition des deutschen Wesens, die keine Entsprechung in anderen Sprachen hat. Und Naumanns Theorie über den Staat als ›Großgewerk‹ zum Wohle des Volkes kennen Sie? Mithin, mein Herr, gestehen Sie mir zumindest zu, dass Sie nur sehr eingeschränkt als Experte für den deutschen Menschen zu bezeichnen sind …
    Wären Sie vor ein paar Jahren durch Berlin gelaufen, hätten Sie das wahre Wesen Deutschlands studieren können! Hätten sehen können, wie angeblich rational denkende Menschen auf eine absurde Stabilisierungsmethode verfallen sind und einfach so lange Geld gedruckt haben, bis ihre Währung nicht einmal mehr eine Muschel am Strand wert war. Das ist die deutsche Logik: Sich alles verdrängend in die Katastrophe zu stürzen. Wobei es nicht unserem Naturell entspricht, auch nur einen Augenblick eher innezuhalten.
    Der deutsche Mensch ist aus unendlich vielen unterschiedlichen Komponenten zusammengefügt. Sie werden sagen, dass das für alle Menschen gilt, was zutreffen mag, aber das Mischungsverhältnis der deutschen Eigenschaften, etwa die Dosierung der Sentimentalität darin, ist einzigartig und einmalig. Ich nun strebe nach einer Formel, mit deren Hilfe wir den deutschen Mark erobern werden. Sie mögen sich fragen, ob ich über eine solche bereits verfüge? Und ich sage Ihnen, so ist es, die meiste Zeit meines Lebens habe ich darauf verwandt, den deutschen Menschen zu erforschen. Mithin, Verehrtester, sollten Sie Geschäfte in Deutschland machen wollen, schlage ich Ihnen vor, dass wir kooperieren.«
    Jack Fisk war beeindruckt. »Junger Mann, Sie verstehen das Metier zwar noch nicht ganz, aber Sie haben Talent und Ihre Eloquenz ist geradezu beängstigend.«
    Als Fisk dann seine Zelte in London abgebrochen und nach Berlin gegangen war, hatte er Thomas erst zu seinem Assistenten und nach einem Jahr zum Leiter einer neuen Ein-Mann-Abteilung mit der Bezeichnung »Deutsche Kaufpsychologie« gemacht. Thomas glaubte, für diese Aufgabe geboren zu sein. Schon in jungen Jahren hatte er begriffen, dass sein größtes Talent darin bestand, Menschen zu verführen, ihm ein Produkt abzukaufen, die richtigen Saiten in einer Käuferseele anzuschlagen.
    Von da an hatte er die Dinge mit Umsicht vorangetrieben. Hatte überzeugende Argumente vorgelegt, Tabellen, die seine neuen Ideen beinhalteten, hatte seinen Charme zum Einsatz gebracht und war vom Direktor der Gesellschaft zum Berater der Markforschung für die Woolworth-Kette ernannt worden, einem der ersten Kunden von Milton-Berlin. Im Unternehmen waren Bedenken laut geworden, die Deutschen würden einer amerikanischen Kaufhauskette kein Vertrauen schenken.
    »Aus Umfragen, die Milton in mehreren Großstädten durchgeführt hat, geht hervor, dass die Deutschen kaum glauben werden, diese Produkte seien tatsächlich ihr Geld wert«, verkündete Frau Günther, die zwar den Titel einer »stellvertretenden Leiterin der Markforschung Deutschland« trug, deren tatsächliche Aufgabe aber darin bestand, neue Kunden für Milton zu akquirieren. Sie war eine gedrungene Blondine, die ihren Mann im großen Krieg verloren und ihre beiden Kinder allein großgezogen hatte und den Bedenken des deutschen Verbrauchers in Thomas’ Augen übermäßigen Stellenwert beimaß. Frau Günther war ihm ein Ärgernis, das er plante, bald aus dem Weg zu räumen – natürlich nur beruflich gesprochen. Eine besonders kunstvolle List würde hier wohl nicht erforderlich sein. Fürs erste schlug sie, groteskerweise, vor, die Preise anzuheben, um mehr zu verkaufen.
    Worauf Thomas sich erhob und sagte, »Erstens sehe ich mich genötigt, Frau Günther zu widersprechen: Amerika fasziniert die Deutschen geradezu. Und zweitens schlage ich vor, dass Woolworth den Markt vom Himmel aus erstürmt. Ich erinnere mich noch, wie alle hier aus dem Häuschen gerieten, als das Flugzeug ›Persil‹ an den Himmel sprühte. Und dabei ging es nur um Waschpulver. Eine riesige Kette wie Woolworth muss den Himmel über Berlin für einen ganzen Monat kaufen.«
    »Wir werden jede andere Marke verdrängen«, verkündete er. »Ein Berliner, der die

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