Gute Leute: Roman (German Edition)
Augen zum Himmel hebt, darf nichts anderes sehen als Spruchbanner, Leuchtwerbung, Flugzeugkondensstreifen und, wenn es sein muss, Vögel, auf denen ›Woolworth‹ steht. Wir werden jeden Zeppelin chartern, jedes Flugzeug, alles, was sich an den Himmel bringen lässt. Und wenn die Konkurrenz doch noch irgendeine fliegende Kiste auftreibt, dann schießen wir die von mir aus ab.«
Aus Büchern und Filmen, die Thomas gelesen und gesehen hatte, war er zu dem Schluss gekommen, dass die Amerikaner eine Schwäche für solche markigen Sätze hatten, die eine abenteuerliche Idee und den siegreichen Knockout des Gegners entwickelten: Wir machen A und zeigen es ihnen, dann machen wir sie mit B fertig, und schließlich machen wir C, so dass sie bankrott gehen werden. Je skrupelloser eine Idee, desto überzeugter waren sie, dass »dieser Mann ein Kerl nach unserem Herzen« ist. Sie sollten glauben, ihr Mann sei bereit, Dresden niederzubrennen, um einen Teekessel zu verkaufen.
»Zufällig bin ich mit den Gesellschaftern von ›Paul Wenzel‹ bekannt«, sagte Thomas.
»Die, die sich das Patent für das Flugzeug gesichert haben, bei dem man die Werbebanner austauschen kann?«
»Genau«, bestätigte er, »wirklich phantastische Jungs, und sie haben noch eine Menge Patente mehr. Ich schlage vor, dass Woolworth ihnen dieses Patent abkauft.«
»Brauchen wir denn wirklich ein Flugzeug, das zwanzig wechselnde Werbebanner bei jedem Flug zeigen kann?«, wandte ein Vertreter von Woolworth ein.
»Wie ich schon erklärt habe …«, sagte Thomas und strahlte vor väterlicher Herzlichkeit. »Wir werden nicht ohne Sinn und Verstand loslegen, sondern werden in der ersten Phase Produkt und Preis bewerben und erst in der zweiten die Unternehmenskette.«
»Das klingt interessant, könnten Sie uns denn ein Treffen mit den Leuten von ›Paul Wenzel‹ arrangieren?«, fragten die Woolworthleute.
»Gewiss«, erwiderte Thomas aufgeräumt, »wir sind enge Freunde.«
Sein Aufstieg bei Milton geriet furios, nur wenigen Angestellten der Firma war es gelungen, zu Teilhabern zu werden, und erst recht nicht in so kurzer Zeit. Und das Treffen an diesem Abend mit Daimler-Benz, auf das er den ganzen letzten Monat hingearbeitet hatte, sollte der passende Abschluss eines sehr guten Jahres werden. Seit der Fusion der Daimler-Motoren-Gesellschaft mit der Benz & Cie. hatte Thomas davon geträumt, für ihren neuen Wagen zu arbeiten. Aber die Schlusssätze seines Vortrags gefielen ihm noch nicht, waren nicht überzeugend. Ganz offensichtlich hatte ihn das gedämpfte Flüstern aus dem Schlafzimmer seiner Mutter gestört, das jetzt verstummte.
Schwere Schritte waren zu hören. Er erhob sich, aber erneut war Frau Stein schneller gewesen und an ihm vorbeigeeilt – ihre Schuhe hatten eine feine Schmutzspur hinterlassen. Diesmal war sie ins Bad gegangen. Vielleicht wollte sie seiner Mutter einen kalten Umschlag machen.
»Frau Stein, immer noch die alten Hausrezepte?«, spöttelte er im Stillen. Dabei hätte er gerne zu ihr gesagt: »Frau Stein, wissen Sie schon, dass ich die Abteilung ›Deutsche Kaufpsychologie‹ bei Milton leite? Und Teilhaber dieser Firma bin? Dann möchten Sie sicher von meinem gewaltigen Vorankommen in den letzten Jahren hören.«
Frau Stein kam mit ein paar Handtüchern im Arm auf ihn zu. Ihr Kleid lag eng am Körper, ihr Bauch wölbte sich vor. Als ihre Blicke sich begegneten, sah er in ihren Augen nicht nur die Erschütterung über die Schwere der Erkrankung ihrer Herrin, sondern auch eine stumme Anklage. Zunächst sah er sie erstaunt an, als könnte er nicht glauben, dass sie es tatsächlich wagte, eine Anschuldigung, und sei es auch nur in Gedanken, gegen ihn zu erheben. Sie aber verengte ihre Augen zu zwei Schlitzen und hielt seinem Blick stand.
Frau Stein verfügte über die wundervolle Gabe, die Geschehnisse zu einer stimmigen Geschichte zu organisieren, an die sie beharrlich glaubte; »Männer gegen Frauen« war eines ihrer liebsten Deutungsmuster. Daher hatte der Verrat seiner Mutter ihr einen solchen Schock bereitet. Als das Thema einer Kündigung aufgekommen war, hatte seine Mutter ihn gebeten, sich an den Kosten zu beteiligen, um Frau Stein weiter zu halten, doch er hatte sich mit der Behauptung geweigert, sein Gehalt als Angestellter bei Milton sei zu gering. »Und außerdem, Mutter, Frau Stein arbeitet seit über zwanzig Jahren hier, man muss Menschen auch loslassen können …«
Ende 1930 hatte Frau Stein ihr Haus
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