Gute Leute: Roman (German Edition)
Daimler-Benz sollte eine klare Botschaft vermittelt werden: Milton steht zu jeder Stunde des Tages zu Ihren Diensten. Thomas begann, den Damen verschiedene Schreiben an die einzelnen Niederlassungsleiter von Milton in Europa zu diktieren, in denen er diese zum traditionellen Neujahrsempfang der Firma in Berlin einlud. Jedes Schreiben war mit einer mal mehr, mal weniger warmherzigen persönlichen Note versehen, entsprechend der Erfolgsbilanz der jeweiligen Dependance. Danach beorderte er einen Sachbearbeiter zu sich, der Unterlagen für ein bevorstehendes Treffen mit einem der kleineren Kunden vorbereitet hatte, gab ihm zehn Minuten, seine Sache vorzutragen, machte einige Zwischenanmerkungen und verlangte eine überarbeitete Fassung zu Wochenbeginn. Während der Mann noch dabei war, seine Papiere einzusammeln, telefonierte er bereits mit seinem Freund Schuhmacher vom Wirtschaftsministerium und notierte sich die Namen einiger Firmen, bei denen es sich womöglich lohnen würde, ihnen die vorzüglichen Dienstleistungen Miltons anzutragen. Danach nahm er vor dem Spiegel Aufstellung, ordnete sein Haar, strich ein paar Falten aus seinem Jackett und begab sich zum Konferenzraum.
Frau Günther stand auf dem Vorplatz vor den Räumen der Geschäftsführung, zwischen dem gerahmten Dankschreiben von Peugeot und dem der Süßwarenfabrik Wedel aus Warschau, und verbarg ihr Gesicht hinter einer Zeitung.
Als das rosige, stark geschminkte Gesicht der Dame hinter der Zeitung auftauchte und sie in ihrem himmelblauen Kleid auf ihn zukam, rief er: »Frau Günther, Sie sind heute schöner denn je«, und schritt in Richtung des Konferenzraumes. »Höchste Zeit, die leidige Arbeit zu beenden und mit einem Ihrer zahlreichen Verehrer feiern zu gehen.«
»Aber Sie haben doch alle Mitarbeiter gebeten, heute länger zu bleiben«, erwiderte sie spitz.
»Haben Sie schon gehört?« Sie baute sich vor ihm auf, so dass er gezwungen war, stehen zu bleiben.
»Ja, sicher«, presste er ungehalten hervor. Frau Günther, eine gewiefte Zeitjägerin, war immer auf der Lauer nach anderen Menschen, um sie mit Nichtigkeiten zu belästigen.
»Vom Rath ist tot.«
»Dann sagen Sie Elisabeth, sie soll einen Kranz organisieren und das entsprechende Schreiben aufsetzen. Ich habe es eilig, muss jetzt zu dem Treffen.«
»Welches Schreiben?«, fragte Frau Günther verwundert.
»Frau Günther, was für eine Frage?«, erwiderte er aufgebracht. »Wir wenden uns nicht von unseren Kunden ab, auch wenn sie sterben. Schließlich gedenken wir, noch viele Jahre mit der Firma Richard Lenz zusammenzuarbeiten.«
»Thomas, das ist nicht komisch. Vom Rath hat nicht mit uns zusammengearbeitet, er war Botschaftssekretär in Paris …«
»Ich bin durchaus im Bilde, Frau Günther«, unterbrach er sie ungehalten. »Schon seit zwei Tagen wird darüber gesprochen. Doch vielleicht ist Ihnen nicht erinnerlich, dass es bei Richard Lenz einen Direktor von Kraft, also sehr ähnlichen Namens, gibt.«
Die Fassungslosigkeit auf ihrem Gesicht amüsierte ihn. Erneut verstand sie nicht, wie er die Dreistigkeit besitzen konnte, ihre Professionalität in Zweifel zu ziehen und irgendeine haltlose Behauptung von sich zu geben, die mit der Wahrheit nichts zu tun hatte. Genau wie Else, seine geschiedene Frau, konnte Frau Günther nicht davon lassen, im Predigtton mit ihm zu reden, um dann an diese Thomas’sche Heiterkeit zu geraten, die zu besagen schien: Die Welt ist ein Spiel, überflüssig, Wahrheit und Lüge unterscheiden zu wollen, also spielt halt und jammert nicht! Ihm war bereits zu Ohren gekommen, dass sie in trauter Runde sein Verhalten spöttisch als »die Heiselbergsche Ethik« bezeichnete.
»Nebenbei gesagt hege ich großen Respekt für Firmen und Unternehmer, die präzise und überschaubare Ziele verfolgen wie Richard Lenz«, fügte er hinzu.
Er hoffte, dass die Sache mit vom Rath das Treffen nicht überschatten würde. Auf den Straßen gärte eine fieberhafte Unruhe, als würde bald ein weiterer lärmender Marsch das Stadtzentrum lahmlegen und die Menschen von der Arbeit abhalten. Als er mit dem Dienstwagen den Kurfürstendamm passiert hatte, waren ihm einige der Taugenichtse aus der Gruppe um seinen Jugendfreund Hermann Kritzinger begegnet. Hermann selbst trieb sich schon lange nicht mehr mit ihnen herum, sondern trug jetzt eine SS-Uniform.
»Thomas, man sagt, es kommen schwere Tage«, ließ sich die besorgte Frau Günther vernehmen.
»Ich muss jetzt wirklich zu dem
Weitere Kostenlose Bücher