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Gute Nacht Jakob

Gute Nacht Jakob

Titel: Gute Nacht Jakob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Bentz
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Lange drückte ab. Daneben natürlich. Ich tröstete ihn und ließ die anderen schießen. Sie erwiesen sich als vollendete Gentlemen und fragten nach jedem Schuß um weitere Erlaubnis. Ich war überströmend freigebig, heiter, brüderlich, männlich-überlegen.
    Schließlich, nachdem alle danebengeschossen hatten, trat eine Pause der Erschöpfung ein. Dann wandte sich der Lange an den O-beinigen Rotschopf: »Zeig ihm mal!«
    Der Kleine nestelte an dem Sack. Der Flachskopf mit den schlauen Augen und der schwarze Barfüßige halfen ihm dabei. Endlich erschien in der Öffnung des Sackes eine Gestalt, ein kleines schwarzes Wesen, ein Vogel, offenbar ein junger Vogel; denn er hatte erst die Andeutung eines Schwanzes, und als er jetzt ein paar Hupfer auf mich zu machte, wobei er mit den gestutzten Flügeln fuchtelte, riß er einen riesigen, gelbgeränderten Schnabel auf. Diese gelbe Ränderung war, wie ich aus der Vogelhandlung wußte, ein weiteres Zeichen von Jugend. Er sah mich aus frechen, runden Kokardenaugen an, und dann ertönte aus dem Schnabel, der knallrot gefüttert war, ein lautes: »Kraaaoooh!«
    »Is ‘n das?« fragte ich, männlich bemüht, meine Überraschung und mein Entzücken zu verbergen.
    »‘ne Dohle.«
    »Dohle?«
    »Ja, ‘ne Art Rabe. Wird ganz zahm. Is jetzt schon. Kannsten ruhig auf die Hand nehm’n, mußt ihm die Hand vor’n Bauch drücken, dann kletterta drauf.«
    Ich drückte die Hand vor den kleinen, grauen Federbauch, worauf mich das Wesen zunächst mal kräftig in den Finger hackte. Ich verbiß meinen Schmerz, und schließlich stieg es erst mit der einen, dann mit der anderen Pfote vorsichtig auf den Finger. Dort zog es die Krallen ein. Es tat abermals weh. Aber eine seltsame Beglückung durchströmte mich: Das war ja ein Zauberwesen, ein großer, zahmer Vogel! Er machte den Kopf schief, sah mich an: »Tschack!« bemerkte er beiläufig. Das war ja viel schöner als ein Hund! Hunde hatten alle, aber wer hatte eine zahme Dohle?
    »Gehört er euch?«
    Wieder der Verschwörerblick zwischen den vieren. Dann streckte mir der Lange feierlich die Hand hin: »Ehrenwort, daß de nischt weitersagst?«
    »Ehrenwort!« Wir pumpten unsere Arme nach Indianerart. Er räusperte sich: »Also, die sind nämlich neugierig. Un die Nester ham se in de Felsen dahinten. Un wenn se jung sind, gehn wir mit ‘n Tuch unter de Nester un machen Krach. Dann gucken de Jungen aus de Nester, un manchmal fällt einer dabei ‘runter. Dann mach’n wir ‘n zahm, das geht sehr schnell, un dann verkauf’n wir se an de Sommergäste.«
    »Was frißt er denn?« erkundigte ich mich.
    »Das Innere von ‘ner Semmel, mußte mit’n Finger rolln, am besten vorher in Milch tunken. Un dann später natürlich Würmer un Fliegen. Mußte fangen.«
    Ich sah ratlos drein. Der Lange tröstete mich: »Mehlwürmer kannste beim Vogelhändler kauf’n, Tüte zehn Pfennig.« Als er sah, daß ich über die Würmeraffäre immer noch ratlos war, steigerte sich seine Überredung zur Fieberhitze: »Der hält lange, der wird alt! Zwanzig Jahre!«
    »Wie heißt er denn?« fragte ich.
    »Jakob, die heißen immer Jakob.«
    Jakob sah mich wieder mit schiefem Kopf an und begann sein Gefieder zu sortieren. Dann trat ein nachdenklicher Ausdruck in sein Gesicht, und plötzlich ließ er etwas fallen, genau auf meine Schuhspitze. Das O-Bein riß dienstfertig Moos aus und wischte es weg.
    »Wenn de ‘n ze Hause auf ‘n Stuhl setzt, mußte ‘n Lappen un-terleg’n!« riet der Lange.
    »Macht er oft?« fragte ich besorgt.
    »Au ja — oft!« versicherte das O-Bein. »Manche ham se uns desweg’n schon wiedergebracht, un denn ham wa se noch mal vakauft!«
    Der Lange ließ ihn mit einem Wutblick verstummen. Dann wandte er sich kollegial-vertraulich an mich: »Das sind nur sone, die das mit ‘m Lappen nich’ wissen! Dir ham wir’s aber gesagt, weil de uns schießen gelassen hast!«
    Mir wurde ganz warm ums Herz. »Was kost er denn?« fragte ich.
    Der Lange musterte mich prüfend: »Zwanzig!« sagte er dann.
    »Au!« meinte ich erbleichend. Ich hatte nur sieben Mark in der Sparbüchse, und davon brauchte ich drei Mark für Mamas Geburtstag.
    »Na, weil du’s bist — fuffzehn!« meinte der Lange.
    »Ich muß erst mit meiner Mutter sprechen.«
    »Wo wohnter denn?«
    »Pension Waldfrieden, gleich hier unten.«
    »Ich komme hin«, sagte der Lange, »heut’ nachmittag.«
    »Wir komm’ mit«, erklärte der Flachskopf, »wir krieg’n nämlich was ab!«
    »Halt

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