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Gute Nacht Jakob

Gute Nacht Jakob

Titel: Gute Nacht Jakob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Bentz
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wird.«
    Ich trat zu ihr und strich ihr über das schmale Gesicht: »Mach dir nicht in die Hosen!« sagte ich fröhlich. »Ich schreibe an Opapa. Jetzt gleich. Hier, nimm Jakob. Aber leg dir den Lappen auf den Schoß.«
    »Na siehste!« sagte sie in einer letzten, jammervollen Aufwallung. »Wir können doch nicht von jetzt an alle immer mit einem solchen Tuschlappen auf dem Schoß leben! Stell dir die Familie doch so vor — jeder mit seinem Lappen!«
    »Du mußt nicht immer so maßlos übertreiben«, erklärte ich, während ich das Papier zurechtlegte und die Feder eintunkte. Dann schrieb ich, und die Liebe, eine wilde, verteidigungsbereite Liebe, beflügelte meine Krakelschrift, so daß sie Sätze von tückischer Glätte formte, weich gepolsterte Falltüren für ahnungslose Großväter.

    »Lieber Opapa!
    Es geht mir sehr gut. Mama geht es auch sehr gut. Hoffentlich geht es Dir sehr gut und Omamas Leiden ist besser. Was macht Dein Leiden?« (Hach, das mußte ihn umschmeißen, gerade weil er gar keins hatte, wie Omama immer der Mama erzählte.) »Ich denke oft daran, ob Du wohl auch gesund wiederkommst. Ich will Dir auch viel Freude machen, damit Du Dich freust und schneller gesund wirst.« (So, jetzt Schluß mit der Gesundheit, sonst wurde er mißtrauisch. Und nun zur Sache. Gar nicht erst fragen, ob er vielleicht — einfach als Tatsache erwähnen. Beiläufig. Ja, das war es, ganz beiläufig.) »Ich will auch gar keinen Hund mehr, und ich finde, daß Du ganz recht hattest. Ein kleiner Vogel genügt auch. Du wirst ihn bestimmt liebhaben. Er ist schwarz und heißt Jakob. Sprechen kann er auch. Ein Bauer haben wir auch für ihn, alles ganz billig, und ich habe ihn so furchtbar lieb, daß ich gar nicht mehr ohne ihn leben könnte.« (Schluß? Nein, jetzt mußte noch was anderes nachkommen, damit es nicht so auffiel.) »Das Luftgewehr ist wunderschön. Ich schieße meist Bolzen, weil man die immer wieder verwenden kann. Freunde habe ich wenig. Es ist nur ein Junge in meinem Alter da, der heißt Emil und ist sehr dämlich. Die Jungs aus dem Dorf versteht man schlecht, und sie riechen so sauer.
    Dein Hans.«

    Ich las es der Mama vor, die gramverloren Jakobs Kopf kraulte. Kraaaoooh — Kraaaoooh, verkündete er von Zeit zu Zeit, als billige er den Brief.
    »Das haut hin«, erklärte ich abschließend, »du wirst sehen, das haut hin. Das schmeißt ihn glatt um!«
    »Na, und die Omama?«
    »Die hat sowieso gesagt: Der Junge ist einsam!«
    »Wann denn?«
    »Neulich.«
    »Was du nicht hören sollst, hörst du bestimmt!«
    »Natürlich«, meinte ich fröhlich, »und dabei fällt mir ein — du schreibst: >Der Junge ist nicht mehr einsam, weil er jetzt einen kleinen Vogel hat.< «
    Sie lachte tragisch: »Kleiner Vogel! Ein Ding, so groß wie ein Papagei und mit einer Stimme wie ein Müllkutscher. Ich mache mich doch nicht lächerlich. Ich werde schreiben: >Es ist eine Art Krähe, nur etwas kleinere Sollen sie machen, was sie wollen.«
    »Das wäre lächerlich!« schrie ich, und die Tränen traten mir in die Augen. »Omama hat ganz recht, du hast den Wahrheitsfimmel. Du bist gar nicht diplomatisch...«
    »Aber Junge, sei doch vernünftig. Hör auf zu weinen, ich bitte dich. Was soll ich denn schreiben?«
    »Schreib...«, schluchzte ich, »... halb so groß wie eine Krähe, und er ist sehr niedlich!«
    Sie stand auf und ging zum Schreibtisch: »Meinetwegen, mir ist schon alles egal...« Ich hielt ihre Hand fest, die Tränen auf meinem Gesicht waren nur noch eine nasse, fast unverständliche Erinnerung: »Nein, schreib... Halt, jetzt weiß ich, was du schreibst: Der Junge will keinen Hund mehr und ist auch gar nicht mehr einsam mit einem Vögelchen, das wir uns billig kauften.«
    Sie zuckte die Achseln, und während die Feder über das Papier kratzte, gefiel mir diese Formulierung immer besser. Schließlich gab ich ihr einen Kuß und strich ihr begütigend über den Arm: »Vögelchen ist richtig, glaub mir, Mammi!«
    »Vögelchen!« sagte sie verächtlich. »Sie werden glauben, es ist ein Fink oder ein Kanari. Aber ich schreibe es, bitte — ich schreibe es. Du willst es ja.«
    »Vögelchen sagt gar nichts über die Größe. Wer sagt, wo ein Vögelchen auf hört und ein Vogel anfängt? Du kannst ja später sagen, daß du Vögelchen geschrieben hast, weil er noch jung ist.«
    Sie stutzte: »... ja... das könnte eher angehen!«
    Ich umarmte sie erneut: »Na also... und jetzt gehe ich mal mit Jakob ‘raus!«
    Raus, nur ‘raus!

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