Gute Nacht Jakob
mir aus gab ich noch einen grünen Eisenbahnwagen aus meinem Spielzeug, den ich sowieso nicht leiden konnte, weil die Achse verbogen war. Das sagte ich nicht und schämte mich etwas ob dieses Betruges, bis ich ein paar Tage später von dem O-Bein erfuhr, daß der Durchschnittspreis, den sie erzielten, fünf Mark war.
Der Lange schob ab, eng umdrängt von seiner Bande, der er das Geld zeigen mußte. Ich blieb zurück. Er war mein! Ich hatte ein eigenes Tier! Jakob war inzwischen auf den Nähtisch geflattert, hatte die Sicherheitsnadeln sortiert und schließlich den Fingerhut entdeckt. Er nahm ihn in die Kralle und hackte darauf herum! »Jakob!« sagte er plötzlich klar und unerwartet deutlich. Die Mama strich ihm über das Gefieder: »Niedlich ist er ja, aber wo um Gottes willen wollen wir ihn unterbringen?«
Ich antwortete nicht. Ich hatte mich in die entfernteste Ecke des Zimmers auf einen Stuhl gesetzt und starrte von dort aus das schwarze Wunder an. Mein Jakob! Es war alles so schnell gegangen, daß ich es noch gar nicht fassen konnte. Jetzt aber hatte ich ein Gefühl, als ob mir das Herz zerplatzte. Was waren dagegen meine Soldaten, so lieb ich sie hatte, und selbst das Luftgewehr!
Die Mama ging schließlich seufzend hinaus, nicht ohne zu bemerken, daß sie »wahrscheinlich etwas sehr Dummes< gemacht habe. Ich hörte, wie sie draußen mit der Pensionsinhaberin, Frau Meier, über ein Vogelbauer verhandelte. Ich derweilen starrte weiterhin unentwegt den Jakob an, der noch auf dem Nähtisch arbeitete und jetzt in den Druckknöpfen wühlte. Als ich meine Hand vorsichtig ihm näherte, glaubte er wohl, ich wolle sie ihm wegnehmen, und schluckte schnell ein paar hinunter. Ich blieb schreckerstarrt und sah zum erstenmal die Kehrseite jeder großen Liebe: Angst und Leid. Er hatte Druckknöpfe gefressen! Ein Abführmittel — aber welches, und wie gab man ihm das ein? Mama holen? — Aber vielleicht starb er schon, während ich draußen war? Ich kniete mich vor den Nähtisch und streichelte ihn: »Jakob... mein Jaköbchen... nicht sterben... Jaköbchen, ich hab’ dich doch so lieb!«
Etwas in meiner Stimme schien sein Herz zu erweichen. Er drehte sich mit einem Hupf zu mir um und sah mich mit schiefem Kopf an. Dann rülpste er nonchalant und legte jedesmal einen der verschwundenen Druckknöpfe auf den Tisch. Es stellte sich heraus, daß er sie gar nicht hinuntergeschluckt, sondern nur in seinem Kropf aufbewahrt hatte, der, wie ich mit Erstaunen und unendlicher Erleichterung sah, bei ihm die Rolle eines Tresors spielte. Dann nahm er sich den Fingerhut wieder vor, legte ihn vor sich hin und gab ihm einen Hieb, daß er auf den Boden flog und unter den Schrank rollte. Er flatterte hinterher, bückte sich und sah ihm nach. Ich holte den Fingerhut eilfertig wieder vor und kullerte ihn in seine Richtung. Er besah ihn sich einen Augenblick und gab ihm dann einen neuen Hieb, daß er wieder zu mir zurückrollte. Ich stieß den Fingerhut abermals ihm zu, und er rollte ihn wieder zurück.
Derweilen kam die Mama.
»Man kann richtig mit ihm spielen!« schrie ich aufgeregt. »Man könnte ein Tor bauen und ‘ne Art Fußball machen!«
Ich führte es ihr vor, aber sie zeigte längst nicht den erwarteten Enthusiasmus. Statt dessen setzte sie sich auf einen Stuhl und sagte seufzend: »Das mit dem Bauer habe ich arrangiert. Der Apotheker hier hatte einen Papagei, und der ist lange tot. Das Bauer hat er aber noch. Allerdings fehlt der Boden. Nur die Drahtglocke und die Sitzstange sind da.« Sie seufzte wieder: »Vielleicht genügt das. Ach, wenn das nur gut geht. Wenn ich mir vorstelle...« Sie hatte ganz runde Augen vor Angst und sprang plötzlich auf: »Nein, wir geben ihn zurück. Ich war ja total verrückt! Ein Tier, das alles abreißt und Vollmacht... Er demoliert die Wohnung! Nein, wir geben ihn zurück!«
Während sie so angab und vor meinen Augen eine Beute weiblicher Furcht wurde, hatte ich Jakob an meine Brust genommen und streichelte ihn mechanisch. Etwas war in mir erwacht, etwas Starres, Kalt-Wildes, das noch manchesmal später an den entscheidenden Kurven meines Lebensweges in mir aufwachen sollte.
Sie fuhr zu mir herum, wollte etwas sagen, hob die Hände argumentierend gegen mich. Dann sah sie meine Augen. Ihre Hände sanken nieder, sie setzte sich hilflos auf den Plüschsessel neben der Zimmerpalme und sagte nur: »Ach Gott, Kind, sei doch vernünftig! Denke doch an deine arme Mutter, was sie auszustehen haben
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