Gute Nacht, Peggy Sue
Earl stieß ein heiseres Lachen aus. »Kommt man sich schön blöd vor, was? Wenn ein großer Kerl wie Sie eine Krabbe wie mich Papa nennt!«
Adam lachte. »Ganz und gar nicht, Sir.«
»Also, was läuft da zwischen Ihnen und unserer Mariana?«
»Er ist nur ein Freund, Papa Earl«, erklärte M. J.
Es entstand eine Pause. »Oh«, sagte der alte Mann. »So ist das also.«
»Ich möchte, daß du ihn kennenlernst, mit ihm redest. Er sucht nämlich jemanden. Eine Frau.«
Papa Earls eisgrauer Schädel hob sich interessiert. Die blinden Augen schienen auf sie gerichtet. »Warum fragst du mich? Was weiß ich schon?«
»Du weißt alles, was in den Projects passiert.«
»Setzen wir uns«, murmelte der alte Mann. »Meine Knochen bringen mich um.«
Sie gingen in die Küche. Wie der Rest der Wohnung war auch dieses Zimmer schäbig und verwohnt. Unter dem Spülbecken hatten sich Linoleumplatten aufgeworfen. Die Tisch- und Thekenplatten aus Resopal waren rissig und blind. Herd und Eisschrank kamen vom Müllabladeplatz. Papa Earls anderes Enkelkind, Anthony, saß zusammengesunken am Tisch und schaufelte Spaghetti in sich hinein. Er sah kaum auf, als sie eintraten.
»Hey, Anthony!« schnauzte Papa Earl ihn an. »Willst du deiner alten Babysitterin nicht Hallo sagen?«
»Hallo!« brummte Anthony und schob die nächste Gabel Nudeln in den Mund.
Sie haben sich nicht verändert,
dachte M. J. und beobachtete Anthony und Bella. Sie erinnerte sich an die vielen Abende, die sie auf sie aufgepaßt hatte, während Papa Earl gearbeitet hatte. Damals, in jenen Tagen, als der alte Mann noch seine »Vision« gehabt hatte. Die beiden mochten Zwillinge sein, mochten dieselbe mokkafarbene Haut haben, dieselben hohen, ausgeprägten Wangenknochen, ihre Charaktere waren so unterschiedlich wie Himmel und Hölle. Bella konnte jedes Zimmer mit ihrem Lächeln erwärmen, während Anthony es mit einem einzigen Blick zu frostiger Kälte erstarren ließ.
Papa Earl schlurfte durch die vertraute Küche mit der Sicherheit eines Sehenden. »Hast du Hunger?« fragte er. »Wollt ihr was zu essen?«
M. J. und Adam beobachteten Anthony, der lautstark Tomatensauce über seine Nudeln klatschte, und sagten gleichzeitig: »Nein danke, nichts.«
Sie setzten sich um den Tisch. Papa Earl ihnen gegenüber, die blicklosen Augen auf sie gerichtet. »Also, wer ist die Frau, nach der Sie suchen?« erkundigte er sich.
»Sie heißt Maeve Quantrell«, antwortete M. J. »Wir glauben, daß sie in den Projects lebt.«
»Habt ihr ein Foto?«
M. J. sah Adam an.
»Ja. Ja, ich habe eins«, erwiderte er und griff in seine Brieftasche. Er legte ein Foto auf den Tisch.
M. J. hatte eine Version der Person erwartet, die er ihr beschrieben hatte: eine Göre in schwarzem Leder und mit grellbuntem Haar. Was sie statt dessen sah, war ein zierliches blondes Mädchen, dessen Schüchternheit auch das Foto nicht verbergen konnte.
»Bella?« fragte Papa Earl.
Bella griff nach der Fotografie. »Oh, sie ist richtig hübsch. Blondes Haar. Sieht irgendwie schüchtern aus.«
»Wie alt?«
»Sie ist dreiundzwanzig«, sagte Adam. »Sie sieht jetzt anders aus. Hat vermutlich ihr Haar in einer verrückten Farbe gefärbt. Ist stärker geschminkt.«
»Anthony? Hast du das Mädchen hier gesehen?« fragte Papa Earl.
Anthony warf einen Blick auf das Foto und zuckte mit den Achseln. Dann stand er auf, stellte seinen leeren Teller ins Spülbecken und stolzierte aus der Küche. Einen Augenblick später hörten sie die Wohnungstür ins Schloß fallen.
»Ist wie ein wildes Tier, der Junge«, seufzte Papa Earl. »Kommt und geht, wann er will. Weiß nicht, was ich mit ihm machen soll.«
Bella betrachtete noch immer Maeves Foto. Leise fragte sie: »Wer ist sie?«
»Meine Tochter«, antwortete Adam.
Papa Earl lehnte sich zurück und nickte verständnisvoll. »Sie suchen also Ihr Mädchen.«
»Ja.«
»Warum?«
Adam schüttelte den Kopf. Die Frage verwirrte ihn. »Weil sie meine Tochter ist.«
»Aber sie ist weggelaufen. Sie will nicht gefunden werden. So jemanden kann man nicht finden … es sei denn, sie kommt freiwillig zu Ihnen zurück.«
»Dann nehme ich an …« Adam senkte den Blick. »Dann bin ich schon zufrieden, wenn ich einfach weiß, daß es ihr gutgeht.«
Papa Earl schwieg einen Moment. Es war schwer zu sagen, was hinter diesen blinden Augen vorging. »Da müssen Sie vermutlich mit Jonah reden«, erklärte er schließlich.
»Jonah?« fragte M. J.
»Er ist jetzt hier der Big
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