Gute Nacht, Peggy Sue
schluckte. »Machen Sie schon!«
M. J. zog an der entsprechenden Schublade. Sie glitt geräuschlos auf. Eisige, kondensierte Luft schlug ihnen entgegen. Die Leiche unter dem Leichentuch war fast konturlos. M. J. sah zu Adam auf, um sich zu vergewissern, daß er bereit war. Es waren die Männer, die normalerweise in Ohnmacht fielen. Und je größer und kräftiger sie waren, desto schwieriger war es, sie vom Linoleum zu kratzen. Bis jetzt hielt sich der Bursche recht gut. Grimmig und schweigsam, aber aufrecht. Langsam hob sie das Tuch hoch. Das alabasterweiße Gesicht der Unbekannten starrte sie an.
M. J.s Blick schweifte zu Adam Quantrell.
Er war noch eine Nuance blasser geworden, blieb jedoch ungerührt, hielt den Blick unverwandt auf die Leiche gerichtet. Ganze zehn Sekunden starrte er auf die Unbekannte, als versuche er, aus ihren frostig erstarrten Zügen etwas Lebendiges zu rekonstruieren, etwas, das ihm vertraut war.
Schließlich atmete er hörbar aus. Erst jetzt merkte M. J., daß der Mann die ganze Zeit die Luft angehalten hatte. Er sah sie über die Schublade hinweg an. Mit vollkommen ruhiger Stimme sagte er: »Ich habe diese Frau noch nie in meinem Leben gesehen.«
Dann wandte er sich ab und verließ den Raum.
2
M . J. schob das Fach wieder zu und folgte Adam in den Korridor. »Warten Sie, Mr. Quantrell!«
»Ich kann Ihnen nicht helfen. Ich weiß nicht, wer sie ist.«
»Aber Sie dachten, daß Sie sie kennen. Stimmt’s?«
»Keine Ahnung, was ich gedacht habe.« Er ging auf den Lift zu. Seine langen Beine verschafften ihm einen guten Vorsprung. »Warum hatte sie Ihre Telefonnummer?«
»Weiß ich nicht.«
»Ist das eine Geschäftsnummer? Eine, die öffentlich bekannt sein könnte?«
»Nein. Das ist meine Privatnummer.«
»Wie ist sie dann da rangekommen?«
»Hab ich doch schon gesagt. Keine Ahnung.« Er hatte den Lift erreicht und drückte auf den »Aufwärts«-Knopf. »Sie ist eine Fremde.«
»Aber sie hatten Angst, daß Sie sie kennen. Deshalb sind Sie doch hergekommen.«
»Ich habe meine Bürgerpflicht getan.« Er warf ihr einen Blick zu, der sich jede weitere Fragerei verbat.
M. J. ließ sich dadurch nicht abhalten. »Wer dachten Sie, daß sie ist, Mr. Quantrell?«
Er antwortete nicht. Er sah sie nur mit diesem undurchdringlichen Blick an.
»Ich möchte, daß Sie eine schriftliche Aussage unterschreiben«, fuhr sie fort. »Und ich muß wissen, wo und wie ich Sie erreichen kann. Für den Fall, daß die Polizei noch Fragen hat.« Er griff in seine Jackettasche und zog eine Visitenkarte heraus.
»Meine Privatadresse«, sagte er und gab sie ihr.
Sie warf einen Blick darauf.
II Fair Wind Lane, Surrey Heights.
Beamis hatte bezüglich der ersten Zahlen der Telefonnummer recht behalten.
»Sie werden sich mit der Polizei unterhalten müssen«, sagte sie. »Warum?«
»Routinefragen.«
»Ist es Mord? Oder ist es kein Mord?«
»Weiß ich noch nicht.«
Die Tür glitt auf. »Rufen Sie mich an, wenn Sie sich entschieden haben.«
Sie drängte sich hinter ihm in den Lift. Die Türen schlossen sich. »Hören Sie«, sagte M. J. »Ich habe eine namenlose Leiche im Leichenschauhaus. Ich könnte sie natürlich einfach Lieschen Müller oder Jane Doe taufen und die Sache auf sich beruhen lassen. Aber irgendwo gibt’s jemanden, der eine Schwester, Tochter oder Ehefrau vermißt. Ich würde denen gern helfen. Wirklich.«
»Was ist mit Fingerabdrücken?«
»Hab ich schon geprüft.«
»Zahnanalyse?«
»Auch das habe ich probiert.«
»Sie scheinen was von Ihrem Job zu verstehen. Sie brauchen meine Hilfe nicht.« Die Tür öffnete sich, und er trat hinaus. »Nicht, daß mir das egal wäre«, sagte er und jagte im Schweinsgalopp den Korridor in Richtung Eingangshalle entlang. »Ich weiß nur nicht, warum ich mich da reinziehen lassen sollte. Bloß weil meine Telefonnummer zufällig auf … auf dem Streichholzheftchen eines Restaurants stand. Sie könnte es praktisch überallher haben. Es gestohlen haben …«
»Ich habe Ihnen nicht erzählt, daß es aus einem Restaurant stammt.«
Er blieb stehen und drehte sich zu ihr um. »Doch, haben Sie.«
»Nein, hab ich nicht. Ich weiß, daß ich’s nicht gesagt habe.« Er schwieg. Sie starrten sich an – keiner von beiden war bereit nachzugeben.
Sogar ein smarter Junge wie du kann Fehler machen,
dachte sie mit einem Anflug von Genugtuung. »Und ich bin sicher, Sie irren sich«, bemerkte er gelassen. Er drehte sich um und ging in die Eingangshalle.
Beamis und
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