Gute Nacht, Peggy Sue
zu funktionieren.
Sie legte den Kassettenrecorder beiseite. »Okay, Jungs«, meinte sie. »Vorhang auf zum zweiten Akt.«
Jetzt mußten sie die Leiche entkleiden. Sie arbeiteten zu dritt. Die Totenstarre machte ihre Aufgabe schwierig. M. J. mußte den Rock aufschneiden. Die Oberbekleidung wurde beiseite gelegt. Der Slip und die restliche Unterwäsche sollten später auf Spuren von Sexualverkehr untersucht werden. Als die Leiche schließlich nackt vor ihnen lag, griff M. J. erneut nach der Kamera und machte weitere Fotos für die Akten.
Es war Zeit für den handgreiflichen Teil des Jobs, jenen Part, den man bei
Quincy
nie miterleben durfte. Gelegentlich beantwortete der erste Blick schon sämtliche Fragen. Todeszeit, Todesursache, Tathergang und Tatwerkzeug … das waren die Lücken, die gefüllt werden mußten. Mit einer Schlußfolgerung, die für Selbstmord oder natürlichen Tod sprach, machte man Beamis und Shradick glücklich. Das Urteil Mord bewirkte das Gegenteil.
Diesmal war M. J. leider nicht in der Lage, schnelle Antworten zu liefern.
Sie konnte die Todeszeit ungefähr abschätzen. Die Totenstarre und die wenig ausgeprägten Leichenflecken legten nahe, daß der Tod vor weniger als acht Stunden eingetreten war. Nach der Moritz-Formel wies die Körpertemperatur auf den Eintritt des Todes gegen Mitternacht hin. Aber die Todesursache?
»Nichts Definitives, Jungs«, seufzte sie. »Tut mir leid.«
Beamis und Shradick wirkten enttäuscht, aber kaum überrascht.
»Wir müssen die Tests der Körperflüssigkeiten abwarten«, erklärte sie.
»Wie lange?«
»Ich nehme die Proben und schicke sie noch heute ins Labor. Aber die sind mit ihrer Arbeit sowieso schon ein paar Wochen im Hintertreffen.«
»Könnten Sie ein paar Analysen nicht selbst durchführen?« fragte Beamis.
»Die Gas- und Dünnschichtchromatographie kann ich machen. Aber die Ergebnisse sind zu ungenau. Die Identifizierung möglicher Arzneimittel oder Drogenwirkstoffe muß das staatliche Labor vornehmen.«
»Wir wollen ja nur wissen, ob’s ’ne Möglichkeit ist«, sagte Shradick.
»Mord ist immer eine Möglichkeit.« Sie führte ihre äußerlichen Untersuchungen fort und begann mit dem Kopfbereich. Am Schädel waren keine Spuren von äußerlicher Gewaltanwendung feststellbar. Das Knochengerüst schien unversehrt zu sein. Die Schädeldecke war intakt. Das blonde Haar war strähnig und schmutzig. Die Frau hatte es offenbar seit Tagen nicht gewaschen. Bis auf die Veränderungen, die nach Eintritt des Todes stattgefunden hatten, waren auch am Torso keine auffälligen Spuren zu entdecken. Der linke Arm allerdings erregte ihre Aufmerksamkeit. Er wies eine lange Spur von Narben auf, die sich bis zum Handgelenk hinunterschlängelte.
»Narben von Injektionsnadeln«, erklärte M. J. »Und ein frischer Einstich.«
»Wieder ein Junkie«, seufzte Beamis. »Da haben wir die Todesursache. Überdosis.«
»Wir könnten einen Schnelltest an ihrer Nadel vornehmen«, schlug M. J. vor. »Wo ist ihr Besteck?«
Shradick schüttelte den Kopf. »Nichts dergleichen gefunden.«
»Sie muß eine Spritze gehabt haben.«
»Ich hab danach gesucht«, sagte Shradick. »Da war nichts.«
»Haben Sie denn sonst was in der Nähe der Leiche entdecken können?«
»Nichts«, antwortete Shradick. »Keine Tasche, keine Ausweispapiere, absolut nichts.«
»Wer war zuerst am Tatort?«
»Der Streifenpolizist. Dann ich.«
»Wir haben also einen Junkie mit frischem Einstich, aber keine Nadel.«
»Vielleicht hat sie sich den Schuß woanders gesetzt«, sagte Beamis. »Hat sich dann im Durchgang verkrochen und ist dort gestorben.«
»Möglich.«
Shradick starrte auf die Hand der Toten. »Was ist das?« fragte er.
»Was ist was?«
»Sie hat was in der Hand.«
M. J. beugte sich vor. Tatsächlich! Unter ihren zur Faust geballten Fingern der rechten Hand lugte die Ecke eines pinkfarbenen Stücks Pappe hervor. Zu zweit gelang es ihnen schließlich, ihre Faust zu öffnen. Heraus fiel ein Streichholzheftchen, ein glänzendes, pinkfarbenes Exemplar mit Goldaufdruck: »L’Etoile, gehobene Nouvelle Cuisine. 221 Hilton Avenue.«
»Liegt nicht gerade in ihrem Einzugsbereich«, bemerkte Beamis.
»Soll meines Wissens ein tolles Restaurant sein«, erklärte Shradick. »Eines, das ich mir jedenfalls nicht leisten könnte.«
M. J. klappte das Streichholzheftchen auf. Drinnen waren unverbrauchte Streichhölzer. Und eine Telefonnummer. Sie war mit Fuller auf die Innenseite gekritzelt.
»Ist
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