Guten Abend, Gute Nacht
Schneider.
Ich fühlte mich besser und warf einen Blick auf meine Uhr. Zwanzig nach elf. Massig Zeit, den Wagen zu holen und einen kleinen Besuch zu machen, bevor ich Murphy anrief.
»Ich weiß nicht, ob mir das grüne Papier auch gefällt.«
Die Rosen waren gelb, hatten kleine, aber offene Blüten, spitze Dornen, allerdings in großen Abständen. Ich bückte mich und legte sie ihr hin.
»Mrs. Feeney sagt, die Firma, die das weiße Seidenpapier hergestellt hat, wäre pleite gegangen, und der neue Lieferant würde ihr fünfzig Prozent mehr dafür berechnen.«
Ich strich das Papier glatt. Es knisterte. Das alte Papier, das weiße, flüsterte nur.
Mach dir deswegen keine Gedanken, sagte Beth. Was glaubst du eigentlich, was du da machst? Einen Werbespot für Toilettenpapier?
Ich lachte. Ich schaute an ihrem Stein vorbei auf das Grab von Daugherty. Sein Gedenkstein war aus Granit, nicht aus Marmor, und etwas von dem Blut vom letzten März war immer noch als dunkler Fleck darauf zu erkennen. Ich hörte auf zu lächeln und unterdrückte ein Schaudern.
Hast du schon was von Nancy gehört?
»Nein. Ich habe daran gedacht, sie anzurufen, aber...« Wahrscheinlich hast du recht. Laß dir Zeit.
»Ich weiß.«
Sie braucht Zeit, John.
»Auch das weiß ich.«
Mehr gab es zu diesem Thema nicht zu sagen. Der Himmel war bewölkt, die Luft still. In unserem Teil des Hafens keine Segelboote. Zwei Boston Whaler, Walfangschiffe, rasten in einem Beinahe-Kollisionskurs aufeinander und beide auf ein ankerndes drittes Schiff zu, dessen Angelruten gebogen waren.
»Ein neuer Fall, Beth. Der Sohn einer Freundin des Police Lieutenants, der mich beim letzten Mal gedeckt hat. Der Sohn hat angeblich seine Freundin erschossen.«
Wer sagt das?
»Das ist das Problem. Jeder. Der Sohn eingeschlossen.«
Was sagst du denn?
»Ich weiß nicht. Er ist nicht gerade kooperativ.«
Wie alt ist er?
»Erst zwanzig, aber ein aufgeweckter Junge. Goreham College.«
Hat er dort seine Freundin kennengelernt?
»Ich glaube schon, ja.«
Warum sollte ein reicher Goreham-Junge ein reiches Mädchen umbringen wollen?
»Tja, also, zuerst mal, er ist nicht reich. Er ist ein schwarzer Stipendiat. Ihre Familie, die weiße Familie, scheint allerdings finanziell ziemlich gut dazustehen.«
Hat er sie geliebt?
»Das hat er nicht gesagt.« Ich dachte einen Augenblick nach. »Keine Frage, daß die Kids — die schwarzen Kids — aus seinem Viertel ihn ihretwegen mächtig unter Beschuß genommen haben, und er macht einen ziemlich ernsten Eindruck auf mich, daher, ja, ich würde schon sagen, er muß sie geliebt haben, um das alles aushalten zu können.«
Du hast gesagt, er wäre nicht besonders kooperativ.
»Ja.«
Wenn du mich verloren hättest, als du zwanzig warst, und jeder hätte gesagt, es wäre deine Schuld, wärest du dann besonders kooperativ?
Ich schluckte. »Ich habe dich verloren, als ich erheblich älter als zwanzig war, und ich habe gewußt, daß der Krebs nicht meine Schuld war, und trotzdem war ich für keinen eine besonders große Hilfe.«
Sie wartete einen Augenblick. Verstehst du jetzt?
Ich verstand. »Sie hieß Jennifer Creasy«, sagte ich.
Ich werde die Augen nach ihr aufhalten.
SECHS
Wenn man Informationen braucht, sollte man mit jemandem sprechen, der sich damit seine Brötchen verdient. In der Nachrichtenredaktion des Boston Herald herrschte gedämpfter Lärm. Das Brüllen der Redakteure und das Klappern der alten Schreibmaschinen war dem Kreischen der Gegensprechanlagen und dem Rülpsen der Computer gewichen. Mir persönlich hat die alte Atmosphäre besser gefallen, und ich wußte, Mo Katzen auch.
Wie immer saß er in seinem Büro, wie immer in Weste und Hose eines schlecht sitzenden dreiteiligen Anzuges.
»Mo, wie kannst du Reporter sein und doch nie unterwegs auf der Jagd nach einer Story?«
»Hah, gut gesprochen«, meinte er, die Zähne in eine komatöse Zigarre geschlagen. Er gestikulierte auf die betagte Re-mington, auf deren Gebrauch er immer noch hartnäckig bestand. »Weißt du, über was ich gerade schreibe?«
»Nein, Mo. Ich...«
»Über einen Schreibtisch.« Sein eigener Schreibtisch sah aus wie der Abmarschpunkt einer Parade von Agenturmeldungen. Er nahm die Zigarre aus dem Mund. »Einen fünfzig Jahre alten Schreibtisch, den Bürgermeister Curley angeblich einmal besaß — mit >angeblich< ist da aber nichts. Hiermit« — er zeigte mit Zeige- und Mittelfinger der freien Hand auf seine Augen —
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