Guten Abend, Gute Nacht
ließ mich allein. Ich kam mir vor, als hätte ich wieder den Verhörraum des Polizeireviers von Calem betreten.
Das Zimmer war kaum drei mal drei Meter groß, hatte einen Linoleumboden und nackte Wände. Mitten im Zimmer standen ein Tisch und vier Stühle, gedeckt war jedoch nur für zwei. Durch ein kleines Fenster kam zwar etwas Licht, aber nur wenig Atmosphäre herein. Eine Narzisse stand in einer einfachen, schlanken Glasvase genau in der Mitte des Tisches. Ich bekam so langsam den Eindruck, daß der augenblickliche Manager alles andere als verschwenderisch war.
Ich nahm Platz, nippte an einem Glas Wasser. Gerade als ich das Glas wieder absetzte, rauschte Creasy herein.
Er sagte: »Bleiben Sie sitzen«, aber ich stand trotzdem auf, und wir schüttelten uns die Hände.
»Ich würde Ihnen ja einen Drink anbieten, aber ich erlaube meinen Angestellten keinen Alkohol bei der Arbeit, weder hier noch draußen, daher trinke ich auch nichts.«
»Leuchtet ein.«
Sekunden später tauchte eine Kellnerin mit zwei kalten Platten auf, einem kleinen Servierbrett mit verschiedenen Brotsorten und einem Eistee mit Zitrone.
»Ich trinke kein Koffein«, sagte er.
»Gibt’s heute auch schon ohne«, sagte ich, trank einen Schluck Tee. Stark.
»Ja, ich weiß. Ich habe es versucht. Es schmeckt... synthetisch, unnatürlich. Ich mag keine unnatürlichen Dinge.«
»Warum wollten Sie mich sprechen?«
»Wären Sie einverstanden, wenn wir zuerst essen würden? Ich sitze wegen dieser leidigen Lizenz-Geschichte jetzt schon seit acht Uhr mit den Anwälten zusammen.«
»Von mir aus. Ich habe heute noch nicht gefrühstückt.«
Wir aßen schweigend. Zugegeben, daß er mit dem bescheidenen Menü vertrauter war als ich, aber er verschwendete keine einzige Bewegung, nahm die Kalorien auf, als hätte er gerade mal die Zeit, dringend nötigen Brennstoff zu tanken, nicht auch noch zu genießen.
Er war lange vor mir fertig und schien nicht recht zu wissen, was er mit sich anfangen sollte. Ich erwartete schon halb, daß er sich einen Bericht kommen ließ und Lektüre nachholte.
Ich legte Messer und Gabel in Zehn-nach-zwei-Stellung auf den Tellerrand und trank meinen Eistee. »Wenn Sie soweit sind, ich bin bereit.«
»Ich mag Sie, John. Genug, daß ich Ihnen vertrauen möchte.«
»Ich mag Sie auch, Mr. Creasy — Verzeihung, Sam — , aber auch wieder nicht genug, um Ihnen zu vertrauen.«
Er lächelte und schien beinahe sogar lockerer zu werden. Er schob seinen Teller zur Seite. Die Kellnerin tauchte unaufgefordert auf, um abzuräumen, ließ nur die Narzisse und unsere Wassergläser zurück und füllte dann letztere nach.
Er wurde wieder ernst, sobald sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Sie glauben, daß es einen Zusammenhang zwischen dem Mord an Jennifer und dem Tod von Lainie Bishop gibt, richtig?«
»Ja, aber denken Sie daran, es ist auch im Interesse meines Klienten, davon auszugehen.«
»Weil?«
»Weil William unschuldig ist, wenn es einen Zusammenhang insofern gibt, als dieselbe Person beide Morde begangen hat. Denn aus der Gefängniszelle heraus kann er Lainie nicht umgebracht haben.«
»Einverstanden. Ich habe über das nachgedacht, was Sie gesagt haben. Über die Ungereimtheiten und so weiter.«
»Haben Sie dem noch etwas hinzuzufügen?«
»Ich bin nicht ganz sicher, aber Pina... Sie erinnern sich, unser Hausmädchen?«
»Ich erinnere mich, ja.«
»Nun, Jennifer hat die letzten Wochen zu Hause gewohnt, und das nicht, weil sie lieber bei Tyne und mir war als im Wohnheim. Pina glaubt, daß dieser McCatty sie belästigt hat.«
»Und daher?«
»Und daher ist er vielleicht derjenige, welcher.«
»Der William die Sache angehängt hat, meinen Sie?«
»Ja. Ich erinnere mich sogar, daß Jennifer uns einmal beim Abendessen von der Hypnose erzählt und dabei erwähnt hat, daß McCatty gelernt hätte, wie man es macht.«
»Gelernt hat, wie man hypnotisiert?«
»Genau.«
»Bjorkman auch.«
»Der auch?«
»Ja, auf der Polizeiakademie. Linden auch.«
»Linda?«
»Nein, Linden, Homer Linden. Er ist ein älterer Mann aus Jennifers Therapiegruppe.«
Creasy knirschte mit den Zähnen. »Das wäre typisch Jennifer gewesen, sich... an einen älteren Mann ranzumachen.«
Schon eine ganze Weile hatte mich eine Frage beschäftigt. Sam war außer Deborah Wald der einzige, von dem ich glaubte, daß er vielleicht die Antwort kannte, und nach allem, was sie mit ihrem Vater durchgemacht hatte, wollte ich sie deswegen nicht
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