Gwydion 02 - Die Macht des Grals
„Meister Arnold hat ihn bereits auf Sonderration gesetzt. Morgens, mittags und abends gibt es jetzt Fleisch für ihn.“
„Und was macht er zwischen den Mahlzeiten?“, fragte Cecil belustigt. „Ein Verdauungsnickerchen?“
„Nein, er wird mit den anderen Rittern und mir üben.“
„Nun, wie auch immer“, sagte Orlando und wischte sich den Mund ab. „Das Turnier wird jedenfalls in doppelter Hinsicht spannend.“
„Wieso?“, fragte Cecil.
„Es ist nicht nur ein Wettstreit zwischen Sir Kay und Sir Lancelot, sondern auch ein Kampf zwischen Gwyn und Rowan. Und auf den Ausgang bin ich schon ziemlich gespannt.“
Gwyn musste zugeben, dass ihm dieser Gedanke noch nicht gekommen war, doch Orlando hatte natürlich Recht. Es waren nicht nur die Ritter die gegeneinander antraten, sondern auch die Knappen. Auch wenn Rowan ein schwieriges Verhältnis zu seinem Vater hatte, würde er sich bei dem Turnier keine Schwäche erlauben. Nicht, um Sir Kay damit einen Gefallen zu tun, sondern um nicht selbst als Verlierer dazustehen. Gwyn und Rowan würden natürlich nicht mit den Schwertern aufeinander losgehen, aber es war ihre Pflicht, den Rittern in jeder Hinsicht beizustehen. Und keiner wusste, wie das Turnier verlaufen würde. Wenn Rowan sich ebenfalls Sorgen darüber machte, ließ er sie sich nicht anmerken.
In den letzten Tagen war Sir Kays Sohn sowieso von einer Unbekümmertheit gewesen, die nicht ahnen ließ, unter welchem Druck er stehen musste: Der Vater behandelte ihn wie einen niederen Bediensteten, Prinzessin Aileen war dabei, ihre Verbindung mit ihm zu beenden, und dennoch war Rowan bester Laune. Selbst während der Übungen mit dem Schwert, die unter den Augen Sir Kays absolviert wurden, machte er Scherze. Doch Gwyn entschied, dass dies zumindest für heute nicht sein Problem sein sollte. Ihn trieb etwas anderes um, denn die Unterhaltung mit der Königin und Lancelot war ihm in der Nacht nicht aus dem Sinn gegangen.
Als die Mittagsglocke läutete und sich die anderen Knappen im Schatten der Burgmauer niederließen, um eine wohlverdiente Pause einzulegen, winkte Merlin Gwyn zu sich heran.
„Wie sieht es aus, junger Freund. Hast du einen Moment Zeit, mich zu begleiten? Ich wollte die Raben füttern, die seit eurer Rückkehr aus Dinas Emrys in der Linde vor der Burg ein neues Zuhause gefunden haben.“
Gwyn bemerkte den Korb mit altem Brot, den der Ratgeber des Königs unter seinem Arm trug.
„Natürlich.“ Er stand auf und begleitete Merlin durch das Tor.
„Wie geht es Sir Lancelot?“
„Er kommt langsam wieder zu Kräften“, sagte Gwyn. „Dennoch sind die Aussichten düster für das anstehende Turnier.“
Merlin setzte sich auf den Steintisch, an dem einmal im Monat Gerichtstag abgehalten wurde, und begann, die trockenen Kanten zu zerbröseln. Als hätten sie geahnt, dass sie heute eine Extramahlzeit erhalten sollten, flatterten die sieben Raben auf und ließen sich ohne Scheu zu Merlins Füßen nieder, um die Krümel aufzupicken, die er ihnen hinwarf.
„Darf ich Euch eine Frage stellen?“, fragte Gwyn schließlich.
Merlin brach ein weiteres Stück Brot entzwei und warf es den Vögeln hin.
„Du willst wissen, ob Goon Desert dein Vater ist.“ Es war weniger eine Frage als eine Feststellung. „Nun, die Antwort lautet: ja.“
Gwyns Herz begann schneller zu schlagen, als er das Medaillon hervorholte, das er versteckt unter seinem Hemd trug.
„Als wir die Festung von Dinas Emrys betraten, war neben dem Wappen von Goon Desert auch eines, das ein Einhorn wie dieses zeigte.“
Merlin schüttelte die letzten Krümel von seinem Gewand und schaute jetzt Gwyn direkt in die Augen. „Du weißt, dass Goon Desert in direkter Linie von König Bran, dem ersten Gralshüter, abstammte.“
Gwyn nickte.
„Weißt du auch, dass deine Mutter Valeria in mütterlicher Linie eine Nachfahrin des Joseph von Arimathäa ist?“
Gwyn verschlug es die Sprache. Bisher hatte er nur gewusst, dass sie eine römische Priesterin war, die fern von ihrer südlichen Heimat in einem fremden Land im Kindbett gestorben war.
„Also bin ich…“ Gwyn wagte den Gedanken nicht zu Ende auszusprechen, zu ungeheuerlich war er.
„Der letzte Fischerkönig. Ich muss zugeben, dass ich bis heute noch nicht weiß, welches Schicksal Valeria und Goon zusammenführte. Doch als sie sich verbanden, wurden nach vier Jahrhunderten zwei Linien wiedervereint, die durch die Wirrnisse der römischen Eroberungskriege unter Kaiser
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