Gwydion 02 - Die Macht des Grals
Anweisung waren die wunderbaren Fresken, die die Wände geziert hatten, überstrichen worden, doch wenigstens die kostbaren Fensterscheiben hatte man Lancelot gelassen.
Arturs erster Ritter blieb einen Moment auf der Schwelle seiner neuen Behausung stehen, bevor er eintrat. Gwyn fiel auf, dass sein Herr wie Sir Urfin die Stiefel vor der Tür auszog und nun barfuß über den geölten Dielenboden ging. Gwyn tat es ihm gleich und betrat den Raum, den er so gut kannte und der ihm nun so fremd war.
„War Sir Urfin ein guter Herr?“, fragte Lancelot, als habe er Gwyns Gedanken lesen können.
„Nun, er hat mich nie spüren lassen, dass ich ein Schweinehirte bin.“
„Das war nicht meine Frage.“
Gwyn begann nervös auf- und abzugehen. Er sprach nicht gerne über seinen ehemaligen Herrn, den er so bewundert und der ihn doch verraten hatte. „Was wollt Ihr hören? Er hat Humbert von Llanwick auf dem Gewissen und wollte das Buch des Joseph von Arimathäa stehlen, um Artur mithilfe des Grals vom Thron zu stoßen.“
Lancelot ließ sich nachdenklich auf einem Stuhl nieder.
„Ich ahnte, dass Urfin mit der Art, wie Artur herrscht, nicht einverstanden war, aber dass er tatsächlich Verrat begehen sollte…“ Er ließ den Satz unvollendet und blickte nachdenklich zum Fenster hinaus.
„Ihr habt ihn gut gekannt?“
„Urfin und ich sind die Ritter, die neben Gawain und Sir Kay am längsten der Tafelrunde angehören. Er war wie ein Bruder für mich. Ich habe stets seine Gesellschaft genossen. Urfin war einer der wenigen Ritter, die Lesen und Schreiben konnten. Ihm haben es die Knappen zu verdanken, dass sie diese Kunst auch erlernen.“
„Zurzeit bin ich der Einzige, der Unterricht erhält.“
Lancelot hob die Augenbrauen. „Ach wirklich? Eine Schande.“
Gwyn zuckte mit den Schultern. „Vermutlich hat Merlin Wichtigeres zu tun. Es ist die Zofe der Prinzessin, die es mir beibringt.“
„Branwyn?“
„Katlyn.“
„Ah, natürlich. Mir fällt es noch immer schwer, Namen zu behalten.“
„Aber an Dondar habt Ihr Euch erinnert“, sagte Gwyn vorsichtig.
Lancelot kniff die Lippen zusammen. „Ich habe auch gehört, was man sich auf Camelot erzählt. Dass ich ein Spion Mordreds sei.“ Er sah Gwyn in die Augen, der Mühe hatte, dem Blick standzuhalten. „Glaubst du das auch?“
Gwyn schwieg einen Moment. „Wenn ich auf meinen Verstand höre“, sagte er zögerlich, „muss ich zugeben, dass die Möglichkeit besteht. Da sind zu viele Dinge, die sich nicht erklären lassen.“
„Und wenn du auf dein Herz hörst?“, bohrte Sir Lancelot weiter.
Gwyn blies die Backen auf. „Wenn ich auf mein Herz höre, glaube ich, dass Ihr ein ehrenvoller Ritter seid.“
„Danke“, sagte Lancelot aufrichtig. „Ich kann im Moment jeden vertrauensvollen Freund gut brauchen.“
Jetzt musste Gwyn lächeln. „Was die Freunde angeht: Um die braucht Ihr Euch keine Gedanken zu machen. Es sind die Feinde, die Ihr im Auge behalten müsst. Sie sind sehr mächtig.“
Lancelot rieb sich die Stirn. „Ich weiß, von wem du sprichst. Sir Kay wird mich niemals wie einen Bruder behandeln, dazu sind zu viele unerfreuliche Dinge geschehen. Um Artur mache ich mir größere Sorgen. Ich habe ihm einst ewige Treue geschworen und sie seitdem nie gebrochen.“
Gwyn schwieg.
„Oh ja, ich weiß, was du denkst. Die alten Geschichten sind wohl noch immer lebendig. Aber glaub mir, an den Vorwürfen ist nichts dran.“
„Die Königin und Ihr…“
„Wir sind gute Freunde. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Es ist nie zu einem Ehebruch gekommen.“
„Und du kannst ihm glauben, wenn er das sagt. Lancelot ist der Lüge nicht fähig.“
Gwyn wirbelte herum. In der Tür stand die leuchtende Gestalt Guinevras. Nur einmal war er der Königin so nahe gekommen wie in diesem Moment, doch da hatte er ihr Antlitz nur im Schein der Kerzen wahrgenommen. Im hellen Licht des Tages sah er hingegen, dass die Jahre auch an ihr nicht spurlos vorübergegangen waren. Gewiss, Guinevra war noch immer von atemberaubender Schönheit. Das lange, rotgoldene Haar fiel geschmeidig über ihre Schultern, ihre hellblauen Augen strahlten und ihr Körper war straff und ungebeugt. Dennoch waren die Falten in ihrem Gesicht nun nicht zu übersehen.
Gwyn verneigte sich hastig. „Majestät.“
„Steh auf, Gwydion“, sagte sie und ergriff seine Hand. Eine warme Welle durchströmte Gwyns Körper.
„Ich glaube, es ist besser, wenn ich mich jetzt zurückziehe“, sagte
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