H2O
er im Strahl seiner Taschenlampe zwei kleine rote Augen, dann nahm die dicke Ratte quiekend Reißaus. An den Wänden, wo Elektrokabel entlangliefen, entdeckte er aufgemalte Symbole und Zahlen, die vom Schimmel zerfressen waren, Relikte des einstigen Eisenbahnbetriebs. Von Zeit zu Zeit spürte er einen Luftzug im Nacken.
Der Tunnel beschrieb eine Kurve. Mitten auf den Gleisen lag ein Haufen Steine, die von der Decke gefallen waren. Sénéchal hob die Lampe und bemerkte ein großes Loch, durch das der nackte Fels zu sehen war. Er ging bis ans Ende der Kurve. Vor ihm verschwand das Gleis im Dunkeln.
Er blieb stehen.
Irgendetwas hatte sich dort in Bewegung gesetzt. Ein weißliches zitterndes Gebilde.
Der Inspektor kniff die Augen zusammen. Dieses helle Etwas bewegte sich noch immer. Es kam auf ihn zu, zögerte, wich zurück und schrumpfte, regte sich erneut, geschüttelt von Krämpfen und Zuckungen, und wurde plötzlich wieder größer. Angst überkam ihn. Mit dem Zeigerfinger umklammerte er den Abzug des alten Gewehrs, bewegte sich Schritt für Schritt voran. Schließlich wurde er mutiger, verließ das Gleisbett und lief an der Steinwand entlang weiter. Die Dunkelheit vor ihm, eben noch von der Lampe erhellt, schien plötzlich undurchdringlich.
Je näher er kam, desto kleiner schien das Gebilde zu werden. Plötzlich erkannte er seinen Irrtum: Es war nichts weiter als ein Kleidungsstück, das an einem Haken in der Tunnelwand hing und ständig vom Wind bewegt wurde. Als Sénéchal noch einige Schritte näher kam, erkannte er das zerrissene Ölzeug eines Seemanns. Die gelbe Öljacke von Madame Hoareaus Vogelscheuche. Er holte tief Luft.
Die Öljacke hing am Rand eines Gewölbes, das früher als Materiallager für die Eisenbahner gedient haben musste. Er leuchtete es vollständig aus. Zu seinen Füßen bemerkte er eine Matratze, auf der ein Schlafsack lag, etwas weiter einen Kocher neben einer Holzkiste, auf der eine Sturmlampe, ein batteriebetriebenes Radiogerät und mehrere Konservenbüchsen standen. An der rechten Wand war ein verrosteter Metallschrank befestigt, aus dem einige Kabel hingen. Vorsicht, Hochspannung! konnte man auf der Schranktür noch lesen. Vor einer Bretterwand an der Mauer lag ein eckiger Gegenstand, den eine Plastikplane bedeckte.
Der Umweltinspektor betrat den Raum, stieg über die Matratze und knipste seine Taschenlampe aus. Gedämpftes Licht drang durch die Ritzen in der Holzwand. Er legte seine Hand darauf, wartete und spürte einen kräftigen Luftzug, während gleichzeitig wieder das Heulen einsetzte. Daher also kommt der Wind, der die Öljacke bewegt ... Und das Geräusch im Tunnel entsteht durch den Luftzug, der durch diese Bretter pfeift. Ich befinde mich in einer Art riesigen Pfeife ...
Er spähte durch eine Ritze zwischen den Brettern und erblickte einen mannshohen Durchgang, der nach wenigen Schritten um die Ecke führte. Weiter sah er die Sprossen einer Leiter, die aus Asten zusammengefügt war. Sie wurde vom Mondlicht schwach erhellt.
Ein natürlicher Durchbruch in der Lava. Hier ist der richtige Eingang, ich bin durch den Kamin gekommen wie der Weihnachtsmann ... Oder, besser gesagt, durch den Notausgang.
Seine behandschuhten Finger hoben die Plane und enthüllten den verborgenen Gegenstand: einen großen Außenbordmotor, japanisches Fabrikat. Der Motor schien neu zu sein. An der Seite stand 150 PS. Sénéchal entdeckte zahlreiche Kratzer auf dem Kunststoffgehäuse. Eine Schaufel der Schraube war verbogen. Von Sand oder Schlamm keine Spur. Der Motor roch auch nicht nach Meerwasser - er war sorgfältig gereinigt worden. Sénéchal ließ die Plane wieder herab und wandte sich der Matratze zu. Als er sie hochhob, erblickte er eine Spieluhr mit einem Tiger, der gerade dabei war, einen englischen Soldaten zu verschlingen. Etwas Kerzenwachs war daraufgetropft.
Eigentlich wollte er nun die Erkundung des Tunnels fortsetzen, doch aus Gewissenhaftigkeit ging er zuvor noch zu dem verrosteten Elektroschrank. Im selben Moment, als er ihn mit seiner behandschuhten Hand berührte, erhob sich erneut das Heulen, das gleich darauf wieder abschwoll. Sénéchal lauschte angestrengt. Er meinte, außer dem Heulen noch ein anderes Geräusch gehört zu haben, konnte aber nicht feststellen, woher es gekommen war. Nach einer Weile öffnete er vorsichtig den Schrank. Alle Kabel und elektrischen Geräte waren entfernt worden. Auf dem Schrankboden stand ein Gegenstand, der der Fernsteuerung eines
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