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der Hauptstadt Port-au-Prince etabliert hatte. Ist es so?«
Faustin Bienaimé nickte.
»Laut Ihren eigenen Worten war Ihr Papa also ein Houngan, der ›mit beiden Händen arbeitete‹ - was bedeutet, dass er in Hexerei und schwarzer Magie bestens bewandert war. Er führt Sie sehr früh in seine Praktiken ein, um seine Nachfolge in dem kleinen Familienunternehmen zu sichern, wie Sie sagen. Leider wird er während der Unruhen, die mit dem Sturz des Diktators einhergehen, gelyncht. Sie halten es daher für ratsam, Reißaus zu nehmen, da Ihre Beschützer und Ihre kleine Bruderschaft der Chimären von der neuen Staatsführung verfolgt werden.«
Er blätterte um und schrieb einen Vermerk an den Rand.
»Sie schließen sich der haitianischen Diaspora auf französischem Territorium an. Zunächst in Guayana. Anschließend gelangen Sie nach vielen Umwegen auf die Insel Réunion. Anfangs fristen Sie hier Ihr Dasein mit Schwarzhandel und kleinen Jobs, dann entsinnen Sie sich der Lehren Ihres Vaters und werden ›Kräuterdoktor‹, das heißt, Sie verkaufen Pflanzen, denen heilende Wirkung nachgesagt wird, und diverse Naturarzneimittel auf den Märkten - ein traditionelles Gewerbe, das hierzulande weitverbreitet ist.«
Der Dienststellenleiter warf dem Haitianer einen verächtlichen Blick zu.
»Kennt sich dieser Bursche tatsächlich darin aus?«
Sénéchal zögerte.
»Das kann ich nicht beurteilen. Doch sein Stammbaum, wenn ich so sagen darf, scheint ihm dabei von Nutzen gewesen zu sein. Auch die Unterweisungen seines Papas, von dem er verschiedene Rezepturen und einen Teil seines Know-hows ›geerbt‹ hat. In der kleinen haitianischen Gemeinde auf Réunion fürchtet und bewundert man ihn. Und das gefällt unserem Faustin. Aber kommen wir auf die Expansion Ihres Unternehmens zurück, Monsieur Bienaimé ... Sie bauen Ihre Aktivitäten als ›Kräuterdoktor‹ aus, indem Sie mithilfe eines Außenborders zwischen den Inseln Madagaskar, Mauritius und Réunion Schmuggel betreiben. In Madagaskar bauen Sie ein Netz zum Fang lebender Tiere auf: Schlangen, Lemuren, Chamäleons, Papageien und anderes Getier für Schmuggler und Interessenten.«
Vannier runzelte die Stirn.
»Lebende Tiere?«
Sénéchal schmunzelte.
»Monsieur Bienaimé passte sich unbewusst dem Kundenprofil der FREDE an. Ist Ihnen bekannt, dass die Europäische Union innerhalb der letzten drei Jahre offiziell eine halbe Million wild lebender Papageien aus verschiedenen Ländern importiert hat? Was glauben Sie, Monsieur Vannier, wie viele dieser Tiere inoffiziell importiert wurden - zu welchen Preisen und über welche Kanäle?«
Er griff nach einem Fax, das ein Foto des Haitianers zeigte.
»Um das Wachstum Ihres kleinen, aber durchaus florierenden Unternehmens noch zu steigern, Monsieur Bienaimé, freunden Sie sich mit diversen Piraten der Gegend an und transportieren gelegentlich Schmuggelware von A nach B. Sie teilen sich das Areal zwischen Madagaskar, Mauritius und Réunion untereinander auf, wie es sich für einen überbuchten Manager gehört. Sie richten Ihren Miniatur-Voodootempel in diesem ehemaligen Eisenbahntunnel ein und legen einen Vorrat an Heilpflanzen und Zaubertränken an. Denn Sie bleiben, zumindest in religiöser Hinsicht, dem Erbe Ihres Erzeugers treu.«
Vannier bedachte den Haitianer erneut mit einem giftigen Blick.
»Und das Gerümpel im Eisenbahnwaggon? Ist dieser Bursche auch Trödler?«
Sénéchal musterte Vannier mit bekümmerter Miene.
»Denken Sie nicht so westlich. Voodoo ist eine Religion, die nicht nur in Afrika und Brasilien, sondern überall auf der Welt praktiziert wird: in New York, Miami, Paris ... Was so manchen Gläubigen nicht davon abhält, auch die katholischen Heiligen anzubeten.«
Der Beamte verzog argwöhnisch das Gesicht.
»Und wie hat er diesen Tunnel gefunden?«
Der Haitianer antwortete selbst:
»Ein alter Mann, der früher hier als Eisenbahner arbeitete, hat mir auf einem Markt davon erzählt. Er ist gestorben.«
»Hoffentlich eines natürlichen Todes«, knurrte Vannier. »Wir werden das überprüfen.«
»In seinem Versteck«, fuhr Sénéchal fort, »opfert Faustin also Ziegen für seine Götter, und um seinen hübschen Altar zu schmücken, gräbt er auf einem ehemaligen Hindu-Friedhof in den Bergen einen jahrhundertealten Totenkopf aus. Die kleine Hütte neben seinem Versteck, dekoriert mit einem Bild, das einen Zombie-Führer darstellt, ist Treffpunkt für gelegentliche Voodoo-Zusammenkünfte.«
»Und die
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