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Hab keine Angst, mein Maedchen

Hab keine Angst, mein Maedchen

Titel: Hab keine Angst, mein Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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Fall war sie nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen. Ich sagte ihr die Telefonnummer meiner Mutter an. Wieder das gleiche Theater. Kein Anschluss unter der Nummer.
    »Sind Sie sicher, dass wir hier kein Funkloch haben?«
    Magdalene lächelte nachsichtig. »Ja, ganz sicher.«
    Mein Mund war trocken. Ich trank einen Schluck kalten Kaffee. Da stand der Rollator-Galan schon neben mir. Nein, danke. Ich stand abrupt auf und wollte blindlings loslaufen.
    »Ihr Koffer«, erinnerte mich Magdalene und erhob sich ebenfalls. Ich schnappte ihn und ließ meinen enttäuschten Verehrer am Tisch stehen. Raus hier. Aber wo war der verflixte Ausgang? Überall Fenster, überall Flure. Alles sah irgendwie gleich aus. Ich lief einfach los. Der Gang endete in einer gemütlichen Nische mit Seeblick. Verschiedenfarbene ›Fatboys‹ waren einladend im Kreis drapiert. In einem lümmelte eine magere Greisin. Sie lag in dem weichen Sitzsack wie in einer Umarmung und lächelte zufrieden.
    »Suchen Sie etwas, Frau Meinberg?«
    Ich fuhr dermaßen zusammen, dass ich mich an der Wand abstützen musste.
    »Tut mir leid. Ich wollte Sie nicht erschrecken.« Es war der freundliche, junge Mann, der mir das Frühstück serviert hatte. Er war mir gefolgt. Zufällig oder mit Absicht? War es möglich, dass ich wirklich unter Beobachtung stand? Wenn ja, dann hätte man mich besser auf einer Geschlossenen als in einem Seniorenwohnheim unterbringen sollen. Was für ein undurchschaubares Netz wurde da gesponnen? Was für ein Plan steckte dahinter? Hör auf, Michelle. Hinter einem Plan muss ein Ziel stehen, und vor allem Drahtzieher. Wer sollte das denn sein? Ich tickte ja schon wie mein lieber schizophrener Patient Boll. Ihm ging nie die Fantasie für eine neue obskure Variante seiner Verschwörungstheorien aus. Und ich war gerade fleißig dabei, mich selbst in Wahnvorstellungen zu verstricken.
    »Suchen Sie etwas?«, hörte ich den jungen Mann freundlich wiederholen. Ja, den Ausgang, dachte ich. Aber das verschwieg ich ihm wohlweislich.
    »Ich weiß nicht mehr, wo mein Zimmer ist«, sagte ich. Ehrlich gesagt war diese Einsicht nicht gelogen.
    »Ja, manchmal sieht alles gleich aus«, bestätigte er mich, als würde er sich selbst jeden Tag einmal verlaufen und Orientierungshilfe benötigen.
    »Kommen Sie. Ich zeige Ihnen den Weg.«
    Ich folgte ihm notgedrungen zurück bis zum Fahrstuhl. Da stand Magdalene und wartete. Auf mich? Fast schien es mir so.
    Der junge Mann begleitete uns in die zweite Etage. Als wir aus dem Fahrstuhl stiegen, sagte ich: »Ich danke Ihnen. Aber nun finde ich mich wieder allein zurecht.«
    Von wegen. Ich hatte noch immer keinen Schimmer, wie ich aus diesem Labyrinth von Kuschelwohnheim herauskommen sollte. Die einzige Person, die mir eventuell helfen konnte, war und blieb Magdalene. Sie wohnte in der gleichen Etage wie ich. Sie wirkte klar und absolut nicht zeitverrückt, und sie kannte sich hier sicher bestens aus. Es blieb mir keine Wahl. Ich musste Farbe bekennen und Mut zur Wahrheit haben. Wobei ich selbst immer noch nicht wusste, wie die aussah.
    »Das ist jetzt sicher ein Überfall für Sie, aber … Es ist ungeheuer wichtig. Meine Situation, also, sie ist schwer zu erklären. Fakt ist: Ich brauche Hilfe. Glauben Sie mir, ich bin nicht freiwillig in dieser Residenz«, begann ich hastig draufloszureden. »Ich muss hier weg, um dringende Angelegenheiten zu regeln. Man wartet auf mich. Aber dieses Haus ist so verschachtelt, dass ich den Ausgang nicht finde. Und außerdem – außerdem befürchte ich, man versucht aus irgendeinem Grund zu verhindern, dass ich gehe. Zeigen Sie mir bitte den Weg nach draußen.«
    Den Weg nach draußen, dröhnte es in meinem Kopf nach. Meine Güte, das hörte sich wirklich nach Psycho an. Nach draußen wollen alle. Ich gab mir einen Ruck und sah Magdalene an. Sie hielt meinem Blick ruhig stand. Keine Chance, zu erkennen, was sie dachte. Wahrscheinlich hielt sie mich für verrückt. Das könnte ich ihr nicht verübeln, aber es war mir gerade egal. Sie sollte denken, was sie wollte, wenn sie mir nur den Ausgang zeigte.
    Die Fahrstuhltür schloss sich. Ich schreckte zusammen. Vielleicht würde gleich der nächste Überwacher aussteigen. Wir durften hier keine Wurzeln schlagen.
    »Bitte«, flehte ich. »Wo geht es raus?«
    Aber statt mir einfach den Weg zu zeigen, bestimmte Magdalene mit einer Stimme, die keinen Widerspruch zuließ: »Gehen wir zu Ihnen aufs Zimmer.«
     
    Interview: männlich, 53

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