Hab keine Angst, mein Maedchen
sein. Das ist, mit Verlaub gesagt, lächerlich. Sie sind ungefähr in meinem Alter. Und ich bin 82 Jahre alt.«
Ich starrte Magdalene an. In meinem Kopf schwirrte es. Ich sollte über 80 sein? Ein hysterisches Kichern wollte in mir hochsteigen. Es blieb mir im Hals stecken. Der Polizist gestern. Sein – sein süffisantes Lächeln, als ich von sexueller Belästigung sprach. Überhaupt alle anderen, wie sie mich angesehen hatten. Das waren fremde Blicke. Sie waren für eine Person bestimmt, die ich nicht kannte. Konnte das sein? Das war absolut verrückt. Lilly. Vielleicht sollte ich nicht nur das Wort Zauber aussprechen, sondern die Möglichkeit, er könnte erfolgreich gewesen sein, einräumen. Unsinn. Totaler Unsinn. Oder nicht? Mir blieb keine Wahl. Ich musste mich dazu durchringen, einem Menschen zu vertrauen. Vor allem, was mein Aussehen und die Einschätzung meines Alters betraf. Sonst würde ich durch das ständige Misstrauen mit Sicherheit verrückt.
Ich fuhr mir nervös über das Haar und marschierte in das kleine Badezimmer. Vor dem Spiegel blieb ich stehen. Magdalene war mir gefolgt. Unsere Gesichter waren nebeneinander zu sehen. Meins wies keine einzige Falte auf. Makellos, bis auf die Augenränder. Die waren nach dem, was ich in den zurückliegenden Stunden durchgemacht hatte, kein Wunder. Ich betrachtete Magdalene mit ihrem schneeweißen, gepflegten Haar. Im Gesicht und am Hals unzählige feine, kleine Fältchen. Sie sah immer noch attraktiv aus. Mit Konturen und wundervoll lebendigen Augen. Aber sie war eindeutig sehr alt.
Unsere Blicke trafen sich im Spiegel, und ich stellte mit zitternder Stimme die direkte Frage: »Wie alt schätzen Sie mich?«
Magdalene hob ihre Hände, ließ sie wieder sinken: »Wie ich eben schon gesagt habe. Ungefähr in meinem Alter. Aber Sie sehen wirklich noch unglaublich gut aus.«
»Danke, Sie auch«, murmelte ich tonlos und starrte wieder mein Spiegelbild an.
»Aber warum – warum sehe ich mich selbst genau wie gestern. Da war ich 41. Für mich hat sich nichts verändert, und alle anderen behandeln und sehen mich anscheinend als alte Frau. Das kann doch nicht sein.«
»Manchmal sieht man nur, was man sehen will. Ich kann Ihnen die Frage nicht beantworten. An manchen Tagen fühle ich mich zum Beispiel richtig jung. Dann sehe ich in keinen Spiegel, um mir nicht die Laune zu verderben.«
Magdalene stockte und lächelte mich traurig an. »Aber zurzeit ist das alles nicht wichtig für mich. Nicht mehr.«
Ich hörte nicht hin. Ich wankte zu dem Stuhl zurück und ließ mich kraftlos darauf plumpsen. Das konnte alles nicht wahr sein. Konnte es einfach nicht. Mama! Was für einen Riesenmist hatten sie und Lilly da angerichtet. Ich musste zu ihr.
»Ich muss mich ganz dringend mit meiner Mutter unterhalten«, sprach ich den Gedanken laut aus. Magdalene sah mich zweifelnd an.
»Glauben Sie mir, meine Mutter lebt«, sagte ich aufgebracht. »Gestern Nachmittag jedenfalls noch, und sie erfreute sich bester Gesundheit.«
Magdalene nickte skeptisch.
»Das Problem ist, dass ihr Telefonanschluss anscheinend spinnt und ich hier ohne Papiere sitze. Könnten Sie mir vielleicht mit Bargeld aushelfen? Nicht viel und Sie bekommen es zurück, ehrlich. Ich möchte mir nur ein Taxi rufen.«
»Wo wohnt Ihre Mutter denn?«
»Am See in der Laubenkolonie.«
»Die neben dem Campingplatz?«
Ich nickte erleichtert. Ein wunderbares Gefühl, dass einmal eine Angabe von mir stimmte. »Vielleicht kann ich ja auch zu Fuß gehen. Auf welcher Seite des Sees sind wir hier eigentlich?«
Ich war wie berauscht. Endlich hatte ich an einem Verbindungsfaden gezogen, der mir nicht gleich wieder aus der Hand gerissen wurde.
Magdalene winkte ab: »Das ist zum Laufen zu weit. Wir befinden uns auf der Südseite.«
Ich wollte widersprechen. Ihr sagen, ich bin durchaus in der Lage, meine Beine zu gebrauchen, da entschied Magdalene: »Ich werde Ihnen ein Taxi rufen und Sie zum Ausgang begleiten. Sonst geben Sie ja doch keine Ruhe.«
»Danke«, strahlte ich. Im Grunde war ich auf eine längere Fußtour nicht besonders scharf gewesen.
Als Magdalene das Handy in die Hand nahm, beschleunigte sich mein Puls. Die misslungenen Versuche am Frühstückstisch ließen mich an der Funktion ihres Gerätes zweifeln. Ich schloss die Augen. Hoffentlich bekam sie eine Verbindung. Hoffentlich. Ich musste mit Mama Tacheles reden.
»Guten Tag, Werner«, hörte ich Magdalenes Stimme. Yes! Ich hätte laut jubeln können.
»Wir
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