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Hab keine Angst, mein Maedchen

Hab keine Angst, mein Maedchen

Titel: Hab keine Angst, mein Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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zum Bequatschen gefunden zu haben. Sie ist mir fürchterlich auf die Nerven gegangen.
    Ich blieb vor Magdalenes Tisch stehen und räusperte mich: »Entschuldigung, ist hier der Platz noch frei?«
    Magdalene nickte und wies gleichgültig mit der Hand auf den Stuhl ihr gegenüber. Ich setzte mich.
    »Wie trinken Sie Ihren Kaffee?« Frau Bremer war mir gefolgt.
    »Schwarz. Und …«, ich wollte noch einmal betonen, dass ich morgens sonst nichts zu mir nahm. Doch das Brötchen auf Magdalenes Teller verströmte einen wunderbaren Duft nach Hefe und Frischgebackenem. Mein Magen begann unanständig laut zu knurren.
    »Ich hätte gern ein Brötchen mit Butter und Rübensirup.«
    Während ich das sagte, lauschte ich höchst verwundert meinen Worten hinterher. Wann hatte ich das letzte Mal dieses zuckersüße Zeugs gegessen? Als Kind. Meine Kinder kannten so einen Brotaufstrich überhaupt nicht. Er kam bei uns nicht auf den Tisch. Und nun hatte ich urplötzlich Heißhunger darauf.
    Unterzuckert, diagnostizierte ich. Stress und Zwangsumquartierung gingen nicht spurlos an mir vorbei. Wahrscheinlich war es die klügste Entscheidung, erst etwas zu essen, bevor ich mich aus dem Staub machte.
    »Wir sehen uns später«, sagte Frau Bremer und verschwand. Ich dachte: von wegen. Du wirst mich hier nicht wiedersehen.
    Ein junger Mann kam mit einem Frühstückstablett an unseren Tisch. Er lächelte mich aus bernsteinfarbenen Samtaugen an. Ganz direkt und herzlich. Seine offene Art gefiel mir und verwirrte mich gleichermaßen. Ich war es nicht gewohnt, dass mir ein Fremder, schon gar nicht so ein Jüngling, dermaßen tief und ungeniert in die Augen sah.
    »Bei Rübensirup werde ich auch schwach«, gestand er verschmitzt lächelnd und drapierte Teller, Tasse und Besteck vor mir auf demn Tisch. »Können Sie selbst schmieren oder brauchen Sie dabei Hilfe?«
    Ich gluckste. Was für eine Frage.
    »Vielleicht übernehmen Sie auch gleich noch meine Fütterung«, lachte ich trocken und bedachte ihn mit einem vor Spott triefenden Blick.
    »Okay, okay. Sie können das natürlich selbst. Ich habe gefragt, weil ich Sie noch nicht kenne«, erwiderte er nicht die Spur verunsichert. »Guten Hunger«, wünschte er und ließ mich mit meiner Tischnachbarin allein. Die lächelte mich zum ersten Mal an. Anscheinend hatte ihr meine Antwort gefallen. Aber sie schwieg weiterhin. Was ich äußerst angenehm fand.
    Ich schmierte mir sündhaft dick die Butter auf das Brötchen . Gute Butter . Als Kind hatte ich mich immer aufgeregt, wenn Mama mich zum Einkaufen schickte und betonte, ich sollte gute Butter kaufen. Als würde es auch schlechte geben.
    Ich tauchte den Teelöffel in den braun glänzenden Sirup und wickelte möglichst viel von der zähflüssigen Masse um ihn herum. Dann ließ ich den Rübensirup in dünnen Rinnsalen über mein Butterbrötchen laufen. Dabei bewegte ich den Löffel mal im Kreis mal im Zickzack, dann wieder im Quadrat, um ein Muster zu entwerfen. So hatte ich das immer gemacht. Das braune Geflecht regte meine Fantasie an. Bilder entstanden. Plötzlich konnte ich in ihnen keltische Knoten erkennen und sah Lillys Wohnwagen vor mir. Ich starrte fasziniert auf mein Brötchen. Und da schoss mir zum ersten Mal ein Verdacht durch den Kopf.
    Wie durch das Aufblitzen einer Kamera wurde ein Gedanke beleuchtet. Für einen erschreckenden Augenblick. Länger hielt ich diese abwegige Eingebung nicht aus. Ich schickte sie wieder in die Dunkelheit zurück und konzentrierte mich auf mein Frühstück.
     
    Interview: weiblich, 60 Jahre
     
    Bei dem Wort ›alt‹ muss ich zuerst an Weisheit denken. Aber auch ängstlich, hilfebedürftig, abblätternde Farbe, Renovierungsarbeiten fallen mir ein. Und – loslassen dürfen.
    Ich mag nicht, wenn alte Menschen griesgrämig sind. Wenn sie ständig mit einer Trauermiene durch die Gegend laufen, als gingen sie zu ihrer eigenen Beerdigung. Wenn sie allen Humor verloren haben und ständig über die moderne Zeit schimpfen und herumposaunen: Früher war alles besser! Wenn sie sich überhaupt nicht anpassen oder weiterbewegen können.
    Mir imponiert an alten Menschen vor allem, wenn sie sich bis ins hohe Alter ihren Humor bewahrt haben. Humor ist Trumpf und die beste Medizin. Wenn alte Menschen freundlich bleiben und sich noch reflektieren. Und wenn sie annehmen können, dass es einmal ein Ende hat, dieses Leben hier. Nicht krampfhaft festklammern und so sich selbst und ihren Angehörigen unnötig das Herz schwer

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