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Hab keine Angst, mein Maedchen

Hab keine Angst, mein Maedchen

Titel: Hab keine Angst, mein Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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machen.
    Wenn ich plötzlich mein Heim verlassen müsste, würde ich meine Meditationsmappe mitnehmen. Darin habe ich alles gesammelt, was mir wichtig erscheint. Ein paar Briefe, Bücher, Fotos von Lebenden und auch von schon Toten.
    Ich sehe mich als rüstige 80-Jährige. Ja. Voll Humor, dass die Jungen ihre Freude an mir haben. Und ich sehe für mein Alter noch verdammt gut aus (lacht). Ich nehme jeden Tag, wie er kommt, ganz ohne Angst und habe ein herrliches leckt mich am Arsch-Gefühl.

Kapitel 11
     
    Ich biss herzhaft in die knusprige Brötchenhälfte. Dabei tropfte mir Rübensirup über die Finger. Diesen zähflüssigen Brotaufstrich ohne Schmiererei in den Mund zu bekommen, war schon immer eine Herausforderung und erfordert Geschick. Lena hatte sich nie Mühe gegeben, ihn ohne Kleckerei zu essen. Hinterher hatte sie sich die Finger einzeln abgeleckt. Ganz ungeniert. Das laute, lustvolle Lutschgeräusch hatte mich tierisch genervt. Sie wurde von Mama dafür nie gemaßregelt.
    Ich betrachtete meine klebrigen Fingerkuppen und hätte es um ein Haar genau wie Lena gemacht. Aber ich spürte Magdalenes Blick auf mich gerichtet und entschied mich, eine Serviette zu benutzen.
    Das Frühstück schmeckte mir. Sogar der Kaffee, der garantiert kein Koffein enthielt. Ein Wirkstoff, der sonst für mich am Morgen lebenswichtig war, und von dem ich mir einbildete, ihn herausschmecken zu können. Nur so war es ein echter Kaffee für mich.
    Mein Blick fiel an meiner schweigsamen Tischnachbarin vorbei auf eine Wanduhr. Sie erinnerte an eine Bahnhofsuhr, nur noch größer. Sie hatte überdimensional große Zeiger und Zahlen. Es war kurz vor neun.
    Verdammt! Ich frühstückte hier und verlor mich in Erinnerungen, während das Wartezimmer unter Garantie schon überquoll. Und die arme Nele hatte keinen Schimmer, wo ich steckte. Ich brauchte dringend ein Telefon. Ob Magdalene ein Handy besaß? Ich taxierte sie unauffällig. Mein erster Eindruck schien bestätigt. Obwohl sie ganz klar eine Seniorin war, grenzte sie sich von ihren anwesenden Altersgenossen wohltuend ab. Sie trug eine cremefarbene Kombination aus Bluse und Hose. Der passende Blazer dazu hing über dem Nachbarstuhl. Eine schlichte Perlenkette und die gepflegte Frisur rundeten das Bild ihrer eleganten Erscheinung ab. Alles an ihr verriet Geschmack und das nötige Kleingeld, ihn zu verwirklichen. Eine Frau, die ebenso wenig wie ich in diese Umgebung passte. Ja, mit Sicherheit besaß sie ein Handy.
    »Tut mir leid. Ich habe mich Ihnen gar nicht vorgestellt. Ich heiße Michelle Meinberg«, begann ich im leichten Plauderton. Sie sah mich ohne Interesse an. Eindeutiges Signal. Sie wollte mit mir keinen Small Talk beginnen. Eine von mir unter normalen Umständen hoch geschätzte Einstellung. Aber zurzeit war nichts normal, und ich lächelte sie weiterhin erwartungsvoll an.
    »Magdalene Werner«, antwortete sie widerwillig. Danach schwieg sie wieder. Ich war nicht in Übung, eine Tischunterhaltung zu beginnen. Das hatte ich bislang auch nicht nötig gehabt. Ich entschied mich, mit der Tür ins Haus zu fallen.
    »Entschuldigung, wenn ich Sie weiter belästige. Aber ich habe ein Problem. Ein großes. Vor allem muss ich dringend telefonieren. Leider hat man mir – ähm, ich habe mein Handy anscheinend verloren.«
    Sie sah mich durchdringend an. Mit schönen grauen Augen, die ihr Gesicht attraktiv wirken ließen. Ohne eine Gegenfrage zu stellen, griff sie in die Tasche ihres Blazers und legte das Objekt meiner Begierde vor mir auf den Tisch.
    »Bitte, telefonieren Sie.«
    Ihre spröde Art gefiel mir.
    »Vielen Dank«, murmelte ich und griff hastig nach dem matt glänzenden Mobiltelefon. Aber anstatt endlich den Anruf zu tätigen, konnte ich nur enttäuscht auf das flache Teil in meiner Hand starren. Das Modell war mir völlig unbekannt. Dazu erkannte ich auf dem Display kaum etwas. Meine Augen hatten sich anscheinend noch immer nicht erholt. Für Strategien, meine Unfähigkeit zu verbergen, fehlte mir die Geduld und vor allem die Zeit. Ich gestand Magdalene ohne Umschweife die Wahrheit.
    »Mit so einem Modell kenne ich mich überhaupt nicht aus. Wären Sie so freundlich und könnten die Nummer für mich eingeben?«
    Nun lächelte ich verlegen. Aber Magdalene blieb damenhaft gelassen. Ich konnte nicht den Ansatz von Spott in ihren Augen aufblitzen sehen. Sie setzte sich eine zierliche Lesebrille auf und griff nach dem Handy.
    »Diktieren Sie mir die Nummer«, forderte sie mich

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