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Hab keine Angst, mein Maedchen

Hab keine Angst, mein Maedchen

Titel: Hab keine Angst, mein Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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Ich ließ mich nach hinten auf das Bett fallen und schloss die Augen. Aber das beschleunigte das Denkkarussell in meinem Kopf, und ich setzte mich wieder auf.
    Es klopfte.
    »Herein.« Meine Stimme klang belegt. Es war natürlich Magdalene. Wer hätte es anders sein sollen? Als sie mich auf dem Bett sitzen sah, blieb sie zögernd in der Tür stehen.
    »Wollen Sie schlafen?«
    »Nein, nein. Dafür bin ich viel zu aufgewühlt. Dabei würde ich gern schlafen. Schlafen und in meinem alten Leben wieder aufwachen.«
    Magdalene nickte. »Das würde ich auch gern, aber ich bin auch nicht zur Ruhe gekommen.«
    Sie stand noch immer unschlüssig in der Tür.
    »Kommen Sie doch rein.«
    Magdalene folgte meiner Aufforderung. Sie zog die beiden Stühle auseinander und stellte sie einladend an den schmalen Tisch. Ich erhob mich schwerfällig von der Matratze und setzte mich zu ihr.
    Die Konstellation der Sitzordnung machte mich sofort ruhiger. Sie fühlte sich so vertraut an. Zwei Stühle, dazwischen ein Tisch. Ich saß einem Menschen gegenüber. Der wollte ein Problem loswerden. Ich hörte ihm zu. Vollkommen wachsam. Ganz auf den Patienten orientiert. Ich saugte für kurze Zeit sein Leben in mich auf und dachte nicht mehr an mein eigenes.
    »Erzählen Sie mir Ihre Geschichte«, ermutigte ich Magdalene. Meine Stimme hatte das praxistrainierte Beruhigungstimbre angenommen.
    Magdalene sah mich zweifelnd an. »Warum wollen Sie die hören? Sie haben genug mit Ihrer zu tun.«
    »Stimmt. Aber damit komme ich nicht weiter. Ich denke nur im Kreis.«
    Magdalene rang offensichtlich mit sich. Ich spürte, sie wollte gern reden. Doch noch hatte sie Hemmungen.
    »Sehen Sie, zuzuhören, das ist mein Beruf. Das belastet mich nicht. Im Gegenteil: Es wird mich beruhigen«, erklärte ich ihr.
    Jetzt ging ein zartes Lächeln über ihr Gesicht. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie meine Geschichte beruhigen wird.«
    »Sie wollten etwas erledigen. Für Ihren Mann«, stellte ich, ohne auf ihren letzten Einwand einzugehen, fest.
    Magdalenes Augen verdunkelten sich. Sie strich sich eine Strähne ihres weißen Haars hinter das Ohr und wandte den Blick von mir ab.
    »Er darf nicht ungestraft davonkommen. Es muss doch eine Gerechtigkeit geben«, brachte sie heiser hervor. Dieses inständig vorgestoßene Wunschdenken war mir ebenso vertraut wie unsere Sitzposition.
    »Von wem reden Sie? Wer muss bestraft werden?«
    Magdalene sah mich ernst an. »Der Mörder meines Mannes. Der läuft frei herum. Schlimmer. Er ist dabei, sich alles unter den Nagel zu reißen. Unser ganzes Hab und Gut. Alles. Völlig legal. Und ich kann nur tatenlos dabei zusehen.«
    »Warum gehen Sie nicht zur Polizei und zeigen ihn an?«
    »Pah«, stieß Magdalene aufgebracht hervor. »Was soll ich denen denn erzählen?«
    »Zum Beispiel, dass Ihr Mann umgebracht worden ist.«
    Magdalene beugte ihren Oberkörper nach vorn und fixierte mich mit brennenden Augen. Auch dieser Ausdruck war mir nicht fremd. Ich konnte ihm gelassen standhalten.
    »Ich kann den Mord nicht beweisen. Jeder glaubt, mein Mann wäre an einem Herzinfarkt gestorben«, flüsterte sie.
    »Und was glauben Sie?«
    Magdalene setzte sich wieder gerade hin und sagte mit fester Stimme: »Ich glaube nicht. Ich weiß!«
    »Dann wäre es doch sicher möglich, den Mord zu beweisen. Man könnte Ihren Mann exhu…«
    »Nein!«, unterbrach sie mich erregt. »So schlau wäre ich selbst gewesen.«
    »In Ordnung«, beschwichtigte ich sie. »Es war kein Herzinfarkt, sondern ein Mord. Verraten Sie mir die Todesursache?«
    »Angst. Pure Angst.«
    Für einen kleinen Augenblick kam ich ins Schleudern. Es hatte mir schon so mancher schräge Vogel gegenübergesessen. Sie ängstigten mich nicht. Sie waren mir oft sogar sympathisch. Doch das war in meiner Praxis, in meinem normalen Leben. Aber hier handelte es sich um eine Frau, mit der ich zwischen den Zeiten unterwegs war. Was heißt unterwegs, wir waren gemeinsam auf der Flucht. Sie war sozusagen meine Gefährtin. Auf wen hatte ich mich da eingelassen!
    »Sie glauben mir nicht«, stellte Magdalene nüchtern fest. »Ich habe es nicht anders erwartet. Genau aus dem Grund habe ich bislang geschwiegen.«
    Ihre Augen schimmerten verdächtig. Sie wendete den Blick von mir ab. Ich starrte betroffen auf die weiße Tischdecke und entdeckte an der Ecke eine Stickerei. Ton in Ton mit dem Tuch. ›Hotel Angelika‹.
    Aus Angst sterben. An die Todesursache glaubte ich wirklich nicht. Das klang so

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