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Hab keine Angst, mein Maedchen

Hab keine Angst, mein Maedchen

Titel: Hab keine Angst, mein Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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sie kaum noch laufen oder sehen können, aber hinter dem Steuer sitzen. Ihr Alter einfach ignorieren. Nicht nur ihr Alter, sondern ihren körperlichen Abbau. Und die anderen, in diesem Fall die Jüngeren, sind dann die Dummen, die ihnen das sagen müssen. Dabei sollte das jeder selbst realisieren und Konsequenzen daraus ziehen.
    Mir imponiert an alten Menschen, wenn sie sich eine gewisse Würde bewahren. Egal, wie krank sie sind. Wenn sie sich ihres Alters bewusst sind und doch ganz gelassen erscheinen. Wenn sie keine Hektik verbreiten und nicht mit ihrem Alter kokettieren oder es gar als Argument für etwas einsetzen.
    Wenn ich plötzlich mein Heim verlassen müsste, würde ich Geld und Schlüssel mitnehmen. Obwohl unlogisch, die Schlüssel. Ich komme ja nicht zurück.
    Wenn ich mir vorstelle, ich wäre 86 Jahre, sehe ich mich allein. Deprimiert und allein. Und ich sehe antriebslos meinem Ende entgegen. Das hört sich ganz schön düster an, aber so sind aktuell meine Gefühle und Ängste zum Thema Altsein. In meinem Umfeld verlieren gerade einige Menschen ihre Selbstbestimmung, weil sie alt und krank sind.

Kapitel 14
     
    Das Hotel ›Angelika‹ war zweistöckig, schmalbrüstig und auf den ersten Blick als solches nicht zu erkennen. Es stand dicht eingeklemmt in einer Reihe ähnlich aussehender Gebäude. Rechts unten neben dem Hotel blinkte die Leuchtreklame einer Videothek, und links schien es sich um einen Waschsalon zu handeln. In den darüberliegenden Etagen waren offensichtlich Mietwohnungen. Hinter einigen Fenstern hingen Gardinen. Sie waren nur lieblos vorgezogen und längst nicht mehr weiß.
    Wir befanden uns nach Magdalenes Aussage mitten in der Stadt. Ich hatte diese Straße noch nie gesehen. Eine Tatsache, die mich nicht zusätzlich verunsicherte, denn ich konnte sie mir erklären. Erstens: Die Gegend war grottenhässlich. Ich hatte hier sicher niemals ein Lokal für eine Abendverabredung gesucht. Von der wir selten eine in familiärer Runde hatten. Die Treffen waren meistens geschäftlich, und dann gingen wir immer nur zu ›Michele‹. Beste mediterrane Küche, und mir gefiel der Gag, mit dem Besitzer sozusagen namensverwandt zu sein. Zweitens: Ich kannte mich in meiner Heimatstadt so gut wie gar nicht aus. Das hatte ich mittlerweile begriffen. Mamas Sprüche von ›Bummelzug‹ und ›Blumen pflücken während der Fahrt‹ schossen mir durch den Kopf. Für gewöhnlich reichte mir schon der Gedanke an ein Zitat aus Mamas Weisheitsfibel, um mich in Wut zu steigern. Aber nun ergriff mich so etwas wie leise Wehmut.
    Magdalene hatte längst wie selbstverständlich die Führung übernommen. Ich hinderte sie nicht daran. Ganz im Gegenteil. Ich war ihr dankbar, dass sie die Verantwortung für den organisatorischen Ablauf in die Hand genommen hatte.
    Das fühlte sich für mich wie eine Premiere an. Normalerweise behielt ich die Kontrolle. Ich brauchte den Überblick, das Gefühl, die Fäden fest in den Händen zu halten. Es machte mich kribbelig, wenn ich nicht der Chef war. Normalerweise war weniger als 24 Stunden her. Aber der empfundene Zeitabstand zwischen gestern und heute vergrößerte sich zusehends.
    Magdalene war klasse. Sie wickelte völlig souverän unsere Anmeldung ab. Zwei Einzelzimmer. Für eine Nacht erst einmal. Ich hörte nur mit halbem Ohr hin. Nur als sie uns als Lieselotte Henschel und Hannelore Ladwig eintragen ließ, wurde ich für einen Moment wachsam. Ich befürchtete, der steif wirkende Herr hinter der Rezeption würde unsere Personalausweise sehen wollen. Aber Magdalene zahlte in Voraus. Bar. Keine weiteren Fragen mehr. Ich atmete auf.
    Wir mussten in die zweite Etage. Der Fahrstuhl war schmal. Sie hatten darin einen Spiegel zur optischen Vergrößerung aufgehängt. Sein Rahmen war mit üppig rankenden Rosen bemalt. Ihre Farbe blätterte. Ich betrachtete mein Spiegelbild. Ich konnte die fremde, geblümte Bluse sehen, die ich trug. Aber ich sah nicht die alte Frau, die ich sein sollte. Ich sah die Michelle von gestern. Wie konnte das angehen?
    Der Aufzug wurde abenteuerlich ruckelnd in Gang gesetzt. Ich riss meinen Blick von mir los und starrte auf die vibrierenden Türen, bis wir hielten. Die Türen öffneten sich mit melodischen Gongtönen und der Ansage: »Zweite Etage.«
    Die Zimmer waren sparsam eingerichtet. Bett, Tisch, und Schrank. Zwei Kunststoffstühle standen ineinander gestapelt unter dem Fenster. Wäsche und Wände farblos. Zum Glück hatte man eine separate Toilette und

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