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Hab keine Angst, mein Maedchen

Hab keine Angst, mein Maedchen

Titel: Hab keine Angst, mein Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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Waschgelegenheit. Und es schien alles sauber zu sein. Mehr hatte ich nicht erwartet. Das Haus und seine Umgebung hatten die besten Jahre hinter sich.
    »Im Nobel-Hotel der Stadt würde mich mein Neffe zuerst suchen«, entschuldigte sich Magdalene. Das war unnötig. Ich hatte mit unserer bescheidenen Herberge kein Problem. Dafür mit Magdalenes Hinweis auf ihren Neffen und die Ankündigung, dass er sie suchen könnte. Wir befanden uns sozusagen auf der Flucht. Wie sollte das weitergehen? Wir konnten uns schließlich nicht für alle Zeiten verstecken. Ich hatte noch nicht einmal eine Zahnbürste dabei.
    Magdalene ließ mich allein und ging in ihr Zimmer nach nebenan. Sie wollte sich einen Augenblick ausruhen. Wahrscheinlich fürs Erste die klügste Entscheidung. Ich setzte mich auf mein Bett. Die Matratze war viel zu weich, und ich sank tief ein. Ich begutachtete die Schranktüren. Mama würde jetzt ihr kleines Schweizer Messer herausholen, ein paar Schrauben lösen und sich die Holztüren unter die Matratze legen. Mama. Sie war schon unglaublich praktisch. Bei dem Gedanken überkam mich ein heftiger Anfall von Sehnsucht. Sie schmerzte richtig im Bauch. Genauso hatte es sich angefühlt, als Mama mit Steve auf Hochzeitsreise war. Fairerweise muss ich zugeben: Sie wollte mich mitnehmen. Sie hat regelrecht gebettelt, dass ich mitkomme. Aber ich war zu verletzt und wütend. Wie konnte sie nach Papa einen anderen Mann nehmen? Mamas Annäherungsversuche hatte ich abgeschmettert und bockig darauf bestanden, allein zu Hause zu bleiben. Das ging natürlich noch nicht. Ich war neun Jahre alt. Zu Lilly wollte ich auf keinen Fall und so musste ich zu Tante Adelheid. Die war nett und sterbenslangweilig. Die drei Wochen ohne meine Mutter waren mir wie eine Ewigkeit erschienen. Wie lange würde es dieses Mal dauern? Gab es überhaupt ein Wiedersehen?
    Okay. Ich atmete tief durch. Ob ich wollte oder nicht, ich musste den Gedanken zulassen: Lilly hatte irgendeinen Zauberspruch losgelassen. Lilly hatte magische Kräfte. Das hatte ich, wenn ich ehrlich war, immer gewusst. Deshalb war sie mir unheimlich vorgekommen. Von Anfang an. Eifersucht war der andere Grund, warum ich sie nicht mochte. Sie war Mamas innigste Vertraute. Lilly war ihr viel näher als ich es jemals gewesen war und sein würde. Ich kämpfte gegen einen erneut aufsteigenden Schub Sehnsucht an. Schließlich war ich kein Kind mehr und erwachsen. Ich war – zum Henker, wie alt war ich nun eigentlich? Unwichtig erst einmal. Ich musste mich auf das Wesentliche konzentrieren.
    Lilly hatte mich in die Zukunft katapultiert. Wohlgemerkt auf Mamas Wunsch. Für eine längere Zeit, hatte sie gesagt. Nicht für immer. Es musste also eine Chance geben, wieder zurückzufinden. Eine Prüfung. Genau. Ich sollte irgendein Rätsel lösen. Das würde zu Lilly passen.
    Der Film ›30 über Nacht‹ fiel mir dazu ein. Der Teenager, der liebend gern zu der hippen Clique seiner Schule gehören wollte. Für dieses Ziel hatte das Mädchen seinen netten Freund und sich selbst verraten. Danach wurde es durch einen Zauber über Nacht 30 Jahre alt. Die junge Frau hatte Karriere gemacht. Aber sie war eine Oberzicke mit Starallüren geworden. Als sie durch den Zeitsprungschock geläutert war, flog wieder Sternenstaub. Der Spuk wirkte nicht mehr. Sie wachte in haargenau dem Moment wieder auf, aus dem man sie herausgehext hatte. Sie konnte ihr Verhalten korrigieren und ihre Zukunft leben. Und genau das wollte ich auch. Vor meinem geistigen Auge tauchte Mamas Gesicht auf. Voll der Sorge. Sie hatte anscheinend längst bereut, den Zauber in Auftrag gegeben zu haben. Aber sie konnte ihn nicht mehr rückgängig machen und wollte mich wenigstens warnen. Deshalb hatte sie mich zu sich an den See bestellt. Aber wovor hatte sie Bedenken? Dass ich vielleicht in dieser Zeitebene stecken blieb, weil sie Lillys Künsten nicht über den Weg traute? Oder befürchtete sie, dass ich die Prüfung, welche auch immer das sein sollte, nicht bestehen würde?
    Meine Gefühle schwankten hin und her. In der einen Sekunde erfasste mich wilde Panik, im Körper der alten Frau gefangen zu bleiben. Wirklich am Ende meines Lebens zu sein. Ich wollte aufspringen und weglaufen. Im nächsten Moment überkam mich ein geradezu unheimliches Ruhebedürfnis. Das umfing mich wie ein dichter Nebel und erweckte in mir den Wunsch, mich ohne Gegenwehr der Situation hinzugeben.
    Beides fühlte sich nicht gesund an und erschwerte das klare Denken.

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