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Hab keine Angst, mein Maedchen

Hab keine Angst, mein Maedchen

Titel: Hab keine Angst, mein Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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Konnte das angehen? Immerhin waren 40 Jahre kein Pappenstiel. Ich hätte eine schrägere Architektur, vielleicht sogar schwebende Fahrzeuge erwartet. Auch das Taxi, in dem wir uns befanden, hörte sich nach einem Benziner an. Eigenartig. Auf den ersten Blick hatte sich nichts verändert. Doch. Unser Haus war auf den Kopf gestellt worden. Ihm konnte man den Alterungsprozess abnehmen. Die Laubenkolonie war verschwunden. Und ich hatte mich verändert. Laut Magdalene. Meine Kinder waren angeblich erwachsen. Der Gedanke war unheimlich. Und Hans. Mir schossen Tränen in die Augen. Tot. Das war unmöglich. Hans hätte mich nicht allein gelassen. Wir hatten selten über den Tod oder das Altwerden gesprochen. Eigentlich nie. Alles zu seiner Zeit. Das konnten wir noch, wenn es so weit ist, so war meine Devise. Aber wenn sich wirklich ein Gedanke in die Zukunft verirrt hatte, war eines für mich klar: Ich würde vor Hans sterben. Und nun sollte ich seine Witwe sein? Alt und einsam. Mein Leben war bereits fertiggelebt. Ohne mich. Keine Chance mehr, eine Weiche in eine andere Richtung zu stellen. Ich betrachtete Magdalene von der Seite. Sie war auch eine alte Frau. Eine sehr elegante. Eine, wie ich sie gern wäre, später einmal.
    Weitere zwei Tatsachen lagen völlig schief zu der angeblichen Zeitverschiebungstheorie. Magdalene wusste ebenfalls nicht, dass die Laubenkolonie verschwunden war. Und sie kannte Lilly. Konnte es sein, dass sie so alt geworden war? Dann müsste sie jetzt über 100 Jahre alt sein.
    »Lebt Lilly noch?«
    »Ja, so weit ich weiß, ja.«
    Mein Herzschlag beschleunigte sich. Ich richtete mich auf dem Sitz auf.
    »Wissen Sie, wo sie wohnt?« Ich hoffte sehr, auf dem Campingplatz.
    »Nein, aber das würde uns auch nicht weiterhelfen. Sie wollte für längere Zeit verreisen.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Das hatte mir noch mein Mann erzählt.«
    Ich fiel wieder in mich zusammen.
    »Du wirst mich für eine längere Zeit nicht erreichen können«, hörte ich Mamas Worte. Was bedeutete eine längere Zeit ? Etwa, bis ich tot war? Oder musste ich irgendeine Prüfung bestehen, bevor ich mein Leben zurückbekam? Verdammt, Mama! Wie konntest du mir das antun? Mich mitten aus meinem guten Leben reißen. Wenn du unbedingt mit mir reden wolltest, dann hättest du mich einsperren und zum Reden zwingen sollen.
    Während ich das dachte, gestand ich mir ein, ich hätte mich niemals an die Wand nageln lassen. Ich hätte nicht zugehört und weiter geschwiegen.
    Aber nun konnten wir überhaupt nicht mehr miteinander reden. Was sollte daran gut sein?
    Ich sah das riesige Einkaufszentrum schon von Weitem. Es war eindeutig neu und fremd. Das erkannte ich sofort. Für mich keine Selbstverständlichkeit. Das hatte ich während der Taxifahrt begriffen. Ich hatte krampfhaft versucht, mir Häuser und Straßennamen in Erinnerung zu rufen. Vergeblich. Es tauchten weder Namen noch Bilder vor meinem geistigen Auge auf. Ich war wirklich wie blind immer nur von A nach B gefahren.
    Doch dieses Einkaufszentrum war neu. Meine Praxis gab es nicht mehr.
    Was jetzt? Der Taxifahrer drosselte bereits die Geschwindigkeit. Gleich würde er halten. Aber ich wollte hier nicht aussteigen. Wohin? Zum Stall. Immerhin war ich eine aktive Reiterin, hatte mir die Dame gestern Abend jedenfalls verraten. Und ich hatte Reitklamotten getragen. Ich verwarf den Gedanken. Mir fehlte der Mut. Wer weiß, welches Pferd in meiner Box stand. Den Verlust von Saphira würde ich heute nicht mehr aushalten. Nach Hause? Nein, die Vorstellung, vielleicht meiner erwachsenen Tochter über den Weg zu laufen, machte mir Gänsehaut.
    »Ich habe keine Idee, wo ich hinfahren könnte«, gestand ich Magdalene. »Würden Sie mich mitnehmen? Wohin auch immer.«
    »Ja«, antwortete sie in ihrer knappen Art.
    »Wir haben es uns anders überlegt«, wandte sie sich lauter an den Fahrer. »Lessingstraße, Hotel ›Angelika‹.«
    Als der Fahrer zögerte, der Routenänderung zu folgen, fügte sie hochnäsig hinzu: »Keine Sorge. Ich habe genug Bargeld dabei.«
     
    Interview: männlich, 49 Jahre
     
    Beim Wort ›alt‹ denke ich an einen alten Baum. Keiner, der blüht oder noch grüne Blätter trägt. Er hat auch keine bunte Herbstverfärbung. Nein, er ist kahl und sieht schon ein wenig tot aus. Dann denke ich noch an Dunkelheit und an Kälte. Einsamkeit. Traurigkeit. Tut mir leid, aber es fallen mir nur trostlose Dinge dazu ein.
    Ich mag es nicht, wenn alte Menschen rücksichtslos sind. Wenn

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