HABE MUTTER, BRAUCHE VATER - Mallery, S: HABE MUTTER, BRAUCHE VATER
Samstag saß ihr als Ablenkung – keinen halben Meter entfernt – Walker am Küchentisch gegenüber.
Irgendwie kam es ihr noch immer eigenartig vor, dass er nun hier war. Sie hatten sich draußen am Auto getroffen, nachdem Elissa Zoe zu einer Freundin gebracht hatte, und ehe sie sich versah, hatte sie Walker auch schon hereingebeten.
„Deine Großmutter hat zwei Assistentinnen?“, fragte sie Walker, der gerade von seinen ersten Tagen als Leiter des Unternehmens erzählte. „Wer braucht denn zwei?“
„Sie anscheinend. Kit lerne ich erst nächste Woche kennen, aber Vicki zittert seit Tagen vor lauter Angst. Ich glaube, sie denkt, dass ich sie im Morgengrauen erschießen lasse, wenn sie nicht gleich alles erledigt, was ich sage.“
„Wenn es nicht so traurig wäre, fände ich es schon fast wieder witzig.“
„In der Firma sind alle so“, sagte er. „Gestern habe ich in ein paar Büros geschaut, um mich vorzustellen, und die Leute reagierten allesamt panisch. Aus ihnen war nur herauszubringen, wie sehr sie meine Großmutter und ihre Jobs lieben und wie gern sie dort arbeiten.“
Elissa kräuselte die Nase. „Nimm’s mir nicht übel, aber es fällt mir schwer, zu glauben, dass sie deine Großmutter so wahnsinnig mögen.“
„Ich rechne immer noch damit, dass ich in einem der Büroschränke Rohrstöcke finde oder sich hinter irgendeiner Tür eine mittelalterliche Folterkammer verbirgt. Jede Abteilung muss ihr täglich Bericht erstatten, und von den Mitarbeitern der Restaurants verlangt sie, dass sie zu ihr kommen.“
„Das kriegst du schon hin“, sagte Elissa. Und sie war tatsächlich überzeugt davon. Der Mann hatte Truppen koordiniert, die unter Beschuss gestanden hatten – wie schwer konnte es dann schon sein, die Mitarbeiter einer Firma in Schwung zu bringen?
„Es gibt so viel zu lernen“, sagte er. „Ich habe mich bislang nie für Gastronomie interessiert. Man spricht nicht mal vom Restaurant, sondern vom Geschäft.“
Sie grinste. „Ich weiß.“
Er schüttelte den Kopf. „Entschuldige – du arbeitest ja in einem Restaurant und weißt, wovon ich rede. Cal, einer meiner Brüder, gibt mir gerade einen Crashkurs in Gastronomiemanagement. Es gibt zum einen die fixen Kosten, wie zum Beispiel für die Gebäude. Die Ausgaben für Lebensmittel und die Personalkosten bestimmen den Preis des Essens im Lokal. Cals Frau ist Küchenchefin in einem der Läden. Nächste Woche treffe ich mich mit ihr, damit sie mir zeigt, wie eine Küche organisiert ist. Ich habe keine Ahnung, wie so etwas läuft.“
„Nicht einmal im normalen Leben“, murmelte sie.
Er sah sie an. „Spielst du auf meine Kochkünste an?“
„Soviel ich weiß, kochst du nicht.“
„Worauf willst du hinaus?“
„Dass man alles lernen kann. Und wenn du gute Leute an den richtigen Positionen einsetzt, laufen die Geschäfte von allein.“
„Das rate ich ihnen auch.“ Er nahm den Eistee, den sie gemacht hatte, und lehnte sich zurück. „Ich habe mir nie ernsthaft Gedanken über das Familienunternehmen gemacht. Es war immer etwas, von dem ich mich fernhalten wollte. Jetzt habe ich das Gefühl, als würde ich Menschen retten, die in der Hölle schmoren.“
„Das tust du auch. Ich weiß, sie ist deine Großmutter, und du liebst sie wahrscheinlich sehr …“
„Eigentlich nicht.“
Sie glaubte ihm nicht so recht. Familie war etwas, was man auf Dauer nicht ignorieren konnte. Sie brauchte nur daran zu denken, wie lange sie selbst versucht hatte, so zu tun, als existierte ihre eigene nicht. Und immer noch gab es Tage, an denen sie über ihre Eltern nachdachte und sich fragte, ob sie sie schon vergessen hatten.
„Ich meine ja nur“, fuhr sie fort, „dass sie vermutlich niemand ist, für den zu arbeiten leicht ist. Du machst deine Sache gut.“
Er zuckte unsicher mit den Achseln.
„Da wir gerade vom Doofsein reden …“, sagte sie.
„Tun wir das?“
„Irgendwie schon. Ich habe mit meinem Chef gesprochen. Er kennt deine Großmutter, aber die beiden stehen sich nicht sehr nahe, und sie hätte ihn niemals dazu bringen können, mich zu entlassen. Ich fasse es nicht, dass ich mir dermaßen von ihr habe Angst machen lassen und wie eine Mimose zusammengebrochen bin. Ich hätte mehr Stärke beweisen sollen.“
„Elissa, ich habe diese Woche erwachsene Männer mit mehreren Studienabschlüssen erlebt, die eingeschüchtert hinter ihren Schreibtischen kauern. Es liegt nicht an dir. Gloria jagt allen Leuten Angst
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